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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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gehen konnte, waren Fred und Karl mit mir schon in den dunklen Vorführraum geschlichen.
    Die beiden quetschten sich in die vorletzte Reihe und setzten sich auf den Boden zwischen die Klappstühle, um auch ja nicht entdeckt zu werden.
    Der Film lief bereits. Die Geschichte war nicht allzu kompliziert, sodass wir uns trotz der Verspätung in die Handlung hineindenken konnten.
    Ich fand den Film ganz schön langweilig. Karl und Fred aber starrten fasziniert zwischen den Sitzlehnen hindurch auf die große Leinwand. Es war das erste Mal, dass sie in einem Kino bewegte Bilder auf einer Leinwand sahen. Und einen der neuartigen Fernsehapparate hatten sie auch noch nie zu Gesicht bekommen. Wie auch? In Berkum hatten nur Glasfabrikant Schulze und Pfarrer Mühlacker ein solches Wundergerät zu Hause stehen. Wobei die Berkumer beim Pfarrer unsicher waren. Darauf angesprochen, sagte er immer nur: »Wunder vollbringt kein Gerät der Welt, nur der liebe Gott im Himmel.«
    Ob das für oder gegen das Wundergerät im Priesterhaushalt sprach, war genauso rätselhaft, wie jetzt die Bilder auf der Lichtspielleinwand für Fred und Karl.
    »Irre!«, flüsterte Karl beeindruckt.
    »Bilder, die laufen«, erwiderte Karl ähnlich leise. »Menschen, die sich bewegen, als wären sie echt!«
    Natürlich machte das Eindruck. Zumindest auf dreizehnjährige Jungs.
    »Guck mal!«, sagte Karl, als ob Fred auch nur einen Augenblick nicht aufmerksam gewesen wäre.
    Beide schauten jetzt, dass ihnen die Augäpfel beinahe aus den Augenhöhlen sprangen. Was sie sahen, hatten sie sich nicht einmal in ihren Träumen vorzustellen gewagt. Auch nicht auf dem Dach des Hühnerstalls mit Blick in den Garten am Waschtag. Auf der Leinwand lag vor einer Staffelei, an der ein Maler stand, eine Frau. Das schien nicht weiter aufregendzu sein. Wenn da nicht hinzugekommen wäre, dass die Frau splitterfasernackt war. Zwar nur für Sekunden, doch für Karl und Fred reichte es, um die Hände vor die Münder zu legen und bis zu den Ohren tomatenrot anzulaufen. Das konnte ich trotz der Dunkelheit erkennen. Kein Wunder, es war ja auch das erste Mal, dass die beiden eine nackte Frau sahen.
    »Ob die Oberin ohne Kleider wohl auch so aussehen würde?«, raunte Fred.
    »Da müsste sie schon halb so alt sein«, flüsterte Karl, die Hand noch immer vor dem Mund und das Gesicht zwischen den Lehnen.
    »Und halb so dick«, entgegnete Fred ebenfalls flüsternd.
    Jetzt mussten sie kichern. Sie kamen nicht umhin, sich die dicke Oberin ohne Kleider vorzustellen. War das ein Spaß! Auch ich musste bei dieser Vorstellung schmunzeln.
    Das Kichern wurde lauter, bis den beiden Jungs Tränen aus den Augen kullerten. Schließlich konnten sie nicht mehr an sich halten und lachten los. Aus dem Lachen wurde ein Lachanfall, der nicht zu stoppen war. Im Gegenteil, er wurde immer lauter.
    »Ruhe!«, brüllte jemand aus den vorderen Reihen in die Dunkelheit.
    Als das dritte »Ruhe!« ungehört verhallte, traf Fred und Karl plötzlich ein kleiner Lichtkegel aus einer Taschenlampe, die der Kassiererin gehörte. Sie stand zwischen den Sitzreihen vor den beiden Jungs und starrte finster auf sie hinunter. Fred und Karl verstummten. Dafür wurde die Kassiererin ziemlich laut.
    »Ihr Flegel!«, schimpfte sie, während der Film weiterlief und von vorne wieder jemand »Ruhe!« schrie.
    »Raus mit euch!« Die resolute Kassiererin packte Fred und Karl an den Ohren, zog sie vom Boden hoch und zerrte sie die Reihen entlang zum Ausgang. »Lasst euch hier ja nicht mehr blicken!«
    Worauf Sie einen lassen können , dachte ich und summte »Pack die Badehose ein«, während Karl und Fred um ihr Leben rannten.
    Trotz der roten Ohren, die aussahen wie das Hula-Hoop-Gesicht der Oberin, hatte sich der Ausflug zur Sünderin gelohnt. Diese Bilder konnte ihnen niemand mehr nehmen. Und dass sie Die Sünderin so schnell nicht vergessen würden, war klar.
    Kurz vor dem Bahnhof stoppten die beiden Jungs plötzlich.
    »Guck mal, Karl!«, sagte Fred.
    »Ja, ich seh’s schon!«
    »Das darf doch nicht wahr sein.«
    »Ist es aber!«
    »Das ist eine …«
    »Parkuhr!«
    »Und noch eine!«
    »Ganz viele!«
    »Das sind die Parkuhren von Spint!«
    »Irre!«
    Die beiden standen vor einer Parkuhr, die am Seitenstreifen der Straße stand und leise vor sich hin tickte.
    »Gehört einem der Herren dieser Messerschmitt-Kabinenroller?«, fragte eine Stimme in ihrem Rücken.
    Sie drehten sich um. Vor ihnen stand ein Verkehrspolizist und zeigte auf

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