Der Olivenhain
der hundertfünfzig Jahre alt wird«, sagte der Doktor.
»Ich will nicht ewig leben«, entgegnete Elizabeth.
»Nun, das werden Sie voraussichtlich auch nicht«, sagte Doktor Hashmi. Elizabeth spürte, dass ihr vorheriges Gespräch ihn noch beschäftigte; er schüttelte den Kopf, als er fortfuhr. »Was ich damit sagen möchte: Im Idealfall würde jemand mit dieser genetischen Mutation, der keinerlei schädlichen Substanzen aus der Umwelt ausgesetzt ist, nicht altern. Sie alle«, er sah jede der Anwesenden nacheinander an, »sind einer ganz bestimmten Sache ausgesetzt. Und zwar …«
»… der Umwelt«, beendete Erin seinen Satz. Sie hielt ihren Sohn fest an sich gedrückt, als wollte sie ihn vor Doktor Hashmi beschützen.
»Das Interessante an dieser Mutation ist, dass nur Frauen sie aufweisen und eine Tochter sie nur erben kann, wenn diese Mutation schon bei ihrer Mutter aufgetreten ist. Der kleine Keller hat also eine ganz normale Lebenserwartung, während eine Tochter möglicherweise unsterblich sein könnte. Besonders jetzt, da wir all das wissen.«
Er griff nach einem Keks und nahm einen kräftigen Schluck Tee. Seine Zuhörerinnen begannen leise miteinander zu reden, verstummten dann aber ebenso unvermittelt, als ihnen bewusst wurde, was Doktor Hashmi ihnen soeben mitgeteilt hatte. Elizabeth ballte die Fäuste. Sie konnte weder ihre Tochter noch ihre Mutter ansehen, die zweifellos anders über die Neuigkeit dachten als sie. Erin grinste wie eine der Kandidatinnen aus den Realityshows, die sie immer schaute.
Schließlich meldete sich Anna zu Wort und eröffnete die Diskussion, in deren Verlauf die Frauen Fragen über Fragen zur Mutation stellten: woher sie stammte und was Doktor Hashmi und seine Forschungsgruppe eigentlich herausfinden wollten.
»Sie stammt von Annas Mutter, die sie vermutlich wiederum von ihrer Mutter geerbt hat. Wir wissen, dass es sich hierbei um keine junge Mutation handelt, sondern dass sie bereits vor Hunderten von Jahren entstanden ist«, erklärte Doktor Hashmi und holte weitere Schaubilder hervor. Während Elizabeth zuhörte, wurde ihr klar, dass Anna sich niemals wirklich eingestanden hatte, dass Mims nicht ihre leibliche Mutter war.
Elizabeth räusperte sich. »Die Mutation stammt nicht von Mims.«
»Natürlich tut sie das«, erwiderte Callie. »Mum, du musst nur logisch denken. Ich habe sie von dir geerbt, du hast sie von Anna, und Anna hat sie von ihrer Mutter Mims.«
»Nein«, beharrte Elizabeth.
Der Hund stupste Anna mit der Pfote gegen die Brust und leckte ihr über die Wange. Sie schob ihn von ihrem Schoß und sah ihre Tochter an. »Das spielt doch keine Rolle, oder? Wir wissen es nicht mit Sicherheit.«
Doktor Hashmi schien zu begreifen. Es war fast so, als hätte er diese Wende vorhergesehen. »Es gibt da ein paar Marker in Ihrer DNA, die für jemanden westeuropäischer Abstammung ungewöhnlich sind«, sagte er.
»Was ist mit Aborigines?«, fragte Elizabeth. »Würde sich unsere DNA besser erklären lassen, wenn Anna nicht irischer Abstammung wäre?«
»Papa war Ire«, sagte Anna.
»Wovon redet ihr da?«, fragte Callie. Sie wandte sich an den Doktor. »Amrit, wovon reden die beiden? Geht es um das, was du mir nicht verraten wolltest? Ist das der Grund, weshalb du mir gesagt hast, ich solle meine Mutter auf ihre Geheimnisse ansprechen?«
Elizabeth sah Doktor Hashmi an, flehte ihn stumm an, das andere Geheimnis nicht zu verraten. Dann wandte sie sich an Anna. »Weißt du es, Mama? Weißt du, dass Mims nicht deine Mutter ist?«
Anna lächelte. »Manchmal steckt in einem Märchen ein Körnchen Wahrheit. Hat dein Onkel Wealthy es dir erzählt? Ich wusste es – und wusste es nicht.« Sie schloss die Augen und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Erin und Callie flüsterten aufgeregt mit Doktor Hashmi, fragten ihn, ob das stimmte.
Elizabeth berührte Annas Arm. »Es ist deine Geschichte. Erzähle du sie.«
»Dann holt mir etwas Stärkeres als Tee«, sagte sie und setzte Bobo auf den Boden. Der Hund beschnupperte ihre Füße, dann trottete er hinüber zu seinem Korb und legte sich schlafen.
Erin ging zum Wäscheschrank, in dem sie zwischen den Winterlaken eine Flasche Scotch aufbewahrten. Zurück im Wohnzimmer goss sie jedem einen Schluck ins Teeglas, nur nicht Doktor Hashmi, der ablehnte.
Anna erzählte ihre Geschichte. Sie erzählte, wie sehr sie ihren Vater dafür gehasst hatte, dass er sie einfach mitgenommen hatte, wie aber Mims mit ihrer Liebe den Schmerz
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