Der Olivenhain
daran, als sie alle Vater wurden? Dieses eine Jahr, wann war das? 1968, als drei von ihnen ein Kind bekamen. Ständig haben sie dich angerufen, um dich um Rat zu fragen und sich zu vergewissern, dass sie auch alles richtig machen. Du wirst sie bald wiedersehen.«
»Es fällt mir schwer, mit ihnen zu sprechen, seit Deb wieder untergetaucht ist. Diese Anrufe sind furchtbar, weil ich nie weiß, wie ich mit ihnen über dich oder ihre Nichte sprechen soll, und weil es uns immer so traurig macht und die Distanz zwischen uns deutlich macht.« Ohne es zu bemerken, hatte Elizabeth den wunden Punkt zwischen ihnen ins Spiel gebracht.
Callie legte die Stirn in Falten. »Es geht niemanden etwas an, wo Deb ist. Oder warum sie weggegangen ist – vor allem nicht meine Brüder. Sie haben sich nie für sie interessiert – oder für uns.«
Wie konnte die fröhliche Stimmung ihrer Tochter nur derart jäh umschlagen? »Nein, das stimmt nicht, sie alle wollen nur das Beste für …«
»Niemand will das Beste für mich! Ihr macht mich alle dafür verantwortlich, was mit ihr geschehen ist. Ich weiß, dass sie denken, ich sei an allem schuld. Ist dir aufgefallen, dass mir weder Mark noch Matt je eine Dankeskarte für irgendein Geschenk geschickt haben, das ich ihnen zum Geburtstag oder zur Beförderung gemacht habe? Ihre fotokopierten Weihnachtsbriefe strotzen nur so davon, wie gut sich ihre Kinder entwickeln. Wer gerade seinen Collegeabschluss gemacht hat, wer zum Bürgermeister gewählt wurde, wie oft sie Afrika umsegelt haben. Und sie sind genau wie du. Sie denken, das Beste, was Deb je getan hat, war, wieder zu verschwinden. Vor ihren Problemen davonzulaufen und uns mit unseren eigenen zurückzulassen.«
»Es gab keine andere Möglichkeit. Wenn sie gefunden wird, wandert sie bis an ihr Lebensende ins Gefängnis.«
Doktor Hashmi räusperte sich.
»Und genau das hat sie verdient!« In diesem Punkt war Callie gnadenlos.
»Wollen wir hineingehen?«, fragte er.
»Nicht einmal Erin ist dieser Meinung. Und von uns allen sollte deine Enkelin das letzte Wort haben«, entgegnete Elizabeth.
Wegen Erin gaben die beiden Ruhe, allein die Erwähnung ihres Namens setzte dem Streit ein Ende. Sie wussten beide, dass ihre Wut nirgendwohin führte und dass es das Beste war, das Thema zu wechseln.
Callie legte Doktor Hashmi einen Arm um die Hüfte und stieg die Treppe hinauf. Mit ihm als Stütze hinkte sie weniger, und Elizabeth bemerkte, wie sich die Schultern ihrer Tochter entspannten, als sie zusammen ins Haus gingen.
3.
Enthüllungen
A l s Callie und Doktor Hashmi das Wohnzimmer betraten, herrschte betretenes Schweigen. Dann brach hektische Betriebsamkeit aus: Kekse wurden aus der Küche geholt, Tee angeboten, und die Frauen nahmen rund um den Doktor Platz, der eine große Tasche und einen Computer dabeihatte.
»Ich werde Sie alle berühmt machen«, sagte er und rieb sich die Hände. »Wissen Sie, was uns alt macht?«
»Zeit«, sagte Elizabeth.
»Ja und nein«, erwiderte der Doktor.
Callie platzte mit der richtigen Antwort heraus. »Verfall.«
Er lächelte sie an, und Elizabeth konnte sehen, dass sein Interesse an ihrer Tochter über die reine wissenschaftliche Neugier hinausging. Bereits als Doktor Hashmi sie alle das erste Mal besucht hatte, hatte er ihnen stundenlang die verschiedenen Folgen des Alterns erläutert. Er klappte heute wieder eine Staffelei auseinander und holte mehrere große Schaubilder aus seiner Tasche.
Schwungvoll stellte er das erste Bild auf das Gestell. Bobo stürzte sich auf den dreibeinigen Eindringling, und während der Doktor nach der Staffelei griff, um sie vor dem Umkippen zu bewahren und Anna den Hund auf ihren Schoß zitierte, fragte sich Elizabeth, ob ihm bewusst war, dass sie alle rein gar nichts mit diesen bunten Balken anfangen konnten.
Er deutete auf einen kleinen Bereich im hinteren Drittel. »Das hier ist die Anna-Mutation.« Er umkreiste die Stelle mehrfach mit seinem Zeigestock. »Sie alle tragen sie in sich.«
Callie klatschte in die Hände. Elizabeth sowie der Rest der Familie blieben ruhig. Callie war die Erste, die sich traute, eine Frage zu stellen. »Was bedeutet das? Diese Mutation?«
»Alles«, antwortete er. »Sie altern umweltbedingt, aber nicht genetisch.«
»Aber was bedeutet das?«, fragte Anna. Sie zitterte leicht, und Elizabeth griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand.
»Meiden Sie direkte Sonne, ernähren Sie sich vernünftig – und Sie können der erste Mensch sein,
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