Der Olivenhain
Forschungsprojekts der Universität Pittsburgh weltweit Menschen aufspüren, die älter als einhundertzehn Jahre alt wurden, und diese in einer Datenbank erfassen. Mein Team und ich bezeichnen sie als Super Ager . Dabei handelt es sich um Menschen, die kaum oder nur geringe Spuren von Vergreisung aufweisen.
Es sind Menschen, die mit siebzig den Mount Everest besteigen, mit neunzig durch den Ärmelkanal schwimmen oder mit einhunderteins noch einen Marathon bestreiten. Das ist Altern, wie wir es uns erwünschen. Sie alle wissen, wie viele unterschiedliche Theorien es über altersbedingte Vergreisungsprozesse gibt. Die Hypothesen lauten in der Regel: Altern ist eine Krankheit oder Altern ist ein Nebenprodukt der Evolution, Altern ist ein psychologischer Prozess, Altern ist eine Reaktion auf schädliche Umwelteinflüsse wie Strahlen, Gifte und so weiter. Die Liste ist schier endlos, und die meisten von uns arbeiten selbst mit der einen oder anderen Erklärung. Doch die traurige Wahrheit ist, dass wir die wirkliche Ursache des Alterns immer noch nicht genau kennen.
Ähnlich wie der Wirkmechanismus von Aspirin oder die Frage, warum Placebos häufig besser wirken als Medikamente, bleibt es bislang ein Rätsel, warum wir vergreisen. Eine weit verbreitete These lautet, dass Alterung eine Akkumulation von gesundheitlichen Defekten ist, doch selbst da ließe sich fragen, warum manche Menschen im Greisenalter viel weniger Defekte aufweisen als andere. Um das herauszufinden, müssen wir möglichst viele Informationen über unsere Super Ager sammeln, sie zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragen, das Alter ihrer Eltern ermitteln, sehen, wo sie gelebt und wie viel Lebenszeit sie ungeschützt im Freien verbracht haben. All diese Daten müssen wir abgleichen.
Ich bin seit Langem schon davon überzeugt, dass Ernährung und Lebensgewohnheiten nur untergeordnete Faktoren sind, die den Alterungsprozess kaum beeinflussen, und neuere Untersuchungen erhärten diese Vermutung. Viele meiner Super Ager sind zwar tatsächlich Nichtraucher oder trinken kaum Alkohol, doch mindestens ebenso viele frönen fröhlich den Lastern, vor denen sie ein Leben lang gewarnt wurden. Bei jeder Befragung eines hochbetagten Rauchers kommt unweigerlich der Punkt, an dem er mir erklärt, dass wir alle falsch liegen, »denn, wie Sie sehen, stirbt man als Raucher nicht unbedingt früher«.
Allen diesen Super Agern ist eine große Diskrepanz zwischen ihrem biologischen und dem kalendarischen Alter gemeinsam. In fast allen Fällen führen diese weit über Hundertjährigen in körperlicher, seelischer und sozialer Hinsicht ein Leben, das sich kaum von unserem normalen Alltag unterscheidet. Sie schlafen nachts durch, haben Sex und vergessen weder Telefonnummern noch die Namen ihrer Verwandten und Freunde. Zyberg, der eine Skala des biologischen Alterungsprozesses entwickelt hat, lässt die äußere Erscheinung ganz außer Acht, weil sie vor allem durch unsere Gene und die Umwelt bedingt ist. Das heißt, es gibt Fälle, in denen die Super Ager zwar ihrem chronologischen Alter entsprechend aussehen, doch ihre körperliche und geistige Gesundheit entspricht der eines Menschen, der kaum halb so alt ist wie sie.
Alle unsere Untersuchungen lassen vermuten, dass diese Menschen den Schlüssel zur Regulierung des Alterungsprozesses in sich tragen, das heißt: in ihren Zellen. Um das nachzuweisen, muss geprüft werden, inwieweit hohes Alter ohne Beschwerden und Vergreisung möglicherweise mit Genmutationen zusammenhängt. Für diesen Nachweis brauche ich nicht nur einen Einzelnen, sondern eine ganze Familie von Super Agern . Das ist kein geringes Problem, denn sie sind nicht nur eine seltene Spezies – weltweit vermuten wir im Augenblick kaum tausend Personen –, sondern es ist auch eine unausweichliche Tatsache, dass ihre Angehörigen manchmal einen frühen Tod durch Unfall oder Krankheit finden. Der Zwillingsbruder ist im Krieg gefallen, die Tochter starb im Kindbett, die Schwester wurde vom Auto überfahren – die Problematik dürfte bekannt sein, denn die Welt ist und bleibt ein gefährlicher Ort.
Fast hätte ich die Hoffnung aufgegeben, als ich Anfang des Jahres auf eine ungewöhnliche Familie in Kalifornien stieß, bestehend aus fünf Generationen erstgeborener Frauen mit einer Matriarchin, die mittlerweile einhundertzwölf Jahre alt ist, samt Tochter, Enkelin und Urenkelin bis hin zum jüngsten Mitglied, die Mitte zwanzig und derzeit schwanger ist. Natürlich ist
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