Der Olivenhain
es noch unklar, ob all diese Frauen später ebenfalls ein hohes Alter erreichen werden, doch meine Untersuchungen lassen vermuten, dass wir es hier mit einer Familie zu tun haben könnten, die eine bestimmte Genmutation aufweist – den Schlüssel zur Langlebigkeit.
Das Genom dieser Familie wird im Augenblick von meiner Forschungsgruppe an der Universität Pittsburgh analysiert. Wir hoffen, in zehn Jahren die Gene identifiziert zu haben, die den degenerativen Abschnitt des Alterns verlangsamen, um Therapien zu entwickeln, die die Vergreisung bei normal alternden Menschen ebenfalls aufhalten können. Ich gehe davon aus, dass bei diesen Frauen bestimmte schädliche Gene deaktiviert sind, die wir durch die Entwicklung entsprechender Methoden in Zukunft ebenfalls ausschalten könnten. Aber ich will nichts vorwegnehmen.
Stattdessen bitte ich Sie nun um Ihre Aufmerksamkeit, um Sie im Folgenden mit der aktuellen Studie vertraut zu machen. Vorangestellt sei: Wenn das Kind tatsächlich schon geboren sein sollte, das als erster Mensch das Alter von einhundertfünfzig Jahren erreichen wird, dann werden ihm durch unsere Forschungen schon in seinen mittleren Jahren Therapien und Medikamente zur Verfügung stehen, die ein langes Leben ohne Alterserscheinungen ermöglichen.
II
Erin im Winter
1.
Ein Haarschnitt
B i s zum Januar hatte sich die Aufregung um Erins Rückkehr und ihre Schwangerschaft gelegt. Da Erin nun viel Zeit hatte, musste sie oft daran denken, wie sie das erste Mal fürchtete, schwanger zu sein. Anders als anderen Mädchen war ihr das erst auf dem College passiert. In einer Vorlesung über Musiktheorie lernte sie einen Jungen kennen, dem sie fortan kleine Geschenke machte, zum Beispiel Superhelden-Aufkleber und lustige Grußkarten oder sein Lieblingsgetränk aus der Mensa. Dafür half er ihr in den Mantel und bezahlte fürs Essen. Sie mochte seine dunkelbraunen Augen, die immer feucht schimmerten, als wäre er ständig zutiefst gerührt über die Welt. Irgendwann schliefen sie miteinander, und von da an gab es nichts anderes mehr zwischen ihnen. Sex wurde zu ihrer gemeinsamen Freizeitbeschäftigung.
Meist rief einer von beiden mit einem fadenscheinigen Vorwand an, um vorbeizukommen. »Ich habe meine Handschuhe bei dir vergessen«, sagte sie dann etwa. Oder er gab vor, sein Notenblatt aus dem Seminar neulich nicht mehr zu finden. Nach einem dieser meist kurzen Telefonate sagte ihre Mitbewohnerin, ein spindeldürres Mädchen aus Vermont, anerkennend: »Na, endlich hast du’s auch kapiert.«
»Was denn?«, fragte Erin, während sie ihren Pferdeschwanz löste.
»Dass sich dieser Wollen-wir-miteinander-gehen-Quatsch nach der Highschool echt erledigt hat.«
Erin lief rot an. »Aber wir gehen doch miteinander!«
»Es ist aber nichts Ernstes, oder? Ihr habt keine richtige Beziehung. Wenn er will, kann er jederzeit mit einer anderen schlafen, stimmt’s?«
Widerstand war hier zwecklos, Erin konnte sich tatsächlich keine Zukunft mit ihm vorstellen. Also nickte sie.
»Du bist ein Spätzünder«, sagte ihre Mitbewohnerin. »Die meisten von uns haben es schon geschnallt, bevor wir hierher kamen. Pass auf, ich sag dir was – und das gilt vor allem für Typen wie Ben: Mach dir eine nette Zeit, genieß den Sex, aber lass dich bloß nicht auf ihn ein, auch wenn er noch so verliebt schaut.«
Erin war fassungslos. Doch nach dem ersten Schreck wurde ihr klar, dass dies wahrscheinlich die nützlichste Information des ganzen Semesters war. Von da an behielt sie ihre Gefühle unter Kontrolle, wenn sie mit einem Jungen schlief, und kaschierte ihre von Natur aus ernsthafte Seite mit einem unverbindlichen Lächeln und einer betont lässigen Haltung.
Diese neue Einstellung kam ihr ein paar Monate später sehr zugute, als ihre Periode ausblieb. Ben begleitete sie zum Gesundheitsdienst und faselte die ganze Zeit von seiner neuen Leidenschaft, dem Frisbee-Golf. Als Erin hinterher mit dem negativen Befund in der Hand aus dem Behandlungsraum kam, war er längst verschwunden. Erst kurz vor dem Abschlussexamen tauchte er mit einem Nelkenstrauß in der Hand wieder bei ihr auf und beteuerte, dass er sie liebe und immer geliebt habe.
Sie schliefen miteinander, und es war eine einzige Katastrophe. Er weinte beim Sex, und während sie ihm tröstend über den Rücken streichelte, bekam sie einen fürchterlichen Lachanfall und musste heftig nach Luft schnappen. Ben schluckte seine Tränen hinunter und schoss ihr wütende Blicke zu. Dann
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