Der Olivenhain
heißt das Sprichwort so schön?«
Grinsend zitierte Anna: »Im Hain brauchst du einen sicheren Tritt und einen wilden Geist.« Versonnen lächelnd dachte sie an ihren Vater, der der Meinung war, nur Frauen seien so wild, einen Olivenbaum vollständig abernten zu wollen. Obwohl es nicht so gemeint war, hatte Anna es stets als ein Kompliment verstanden.
Callie schüttelte den Kopf. »Ich habe das nie verstanden. Mir leuchtet nicht ein, warum wir nicht endlich diese Maschinen einsetzen. Das brächte uns bestimmt eineinviertel Tonnen pro Morgen ein.« Callie sprach damit einen alten Streitpunkt an, doch Anna spürte, dass sie das nur sagte, um das Gespräch am Laufen zu halten.
»Der Lärm würde mich umbringen, und von dem Gerüttel gehen die Bäume kaputt.« Anna sagte es mit einem Lächeln, denn sie wusste, dass ihre Enkelin nach einem Vorwand zum Streiten suchte. Callie war verstimmt, weil Bets das Gespräch über den Doktor unterbrochen hatte. Das war auch besser so. Callie erzählte gerne herum, dass sie sich erst dann Gedanken über die Beerdigung ihrer Großmutter machen würde, wenn diese sich mal nicht mehr über irgendetwas aufregte. Vor allem junge Menschen lachten dann herzlich, denn sie konnten sich kaum vorstellen, dass man in Annas Alter die Beisetzung nicht schon doppelt und dreifach geplant hatte.
So standen sie also auf der Veranda und wälzten alte Probleme, bis der trockene Novemberwind sie ins Haus zurücktrieb. Anna wollte sich gerade noch einmal in den Hain aufmachen, als sie auf der Kiesauffahrt vor dem Haus Autoreifen knirschen hörte.
»Der kommt aber früh«, sagte Callie, erhob sich vom Stuhl und lief mit ihrem aufreizenden Gang zur Eingangstür. Der Hund, der schon fast taub war, trottete aus Gewohnheit hinterher.
Bets hielt Anna die Verandatür auf, während sie rasch im vorderen Zimmer einen Blick auf die vergoldete Uhr auf dem Klavier warf. »Keine Ahnung, wie er es in so kurzer Zeit vom Flughafen hierher geschafft hat. Rund um Oakland ist doch permanent Stau.«
An der Vorderseite hatte das Haus keinen Vorbau, sondern nur eine Treppe, deren Stufen direkt zum Halbrund der mit Kies ausgelegten Auffahrt führten. Anna stand an der Tür und hielt sich wegen des hellen Sonnenlichts schützend die Hand über die Augen. Langsam näherte sich ein dunkelblauer Wagen.
»Wieso lässt der sich so viel Zeit?«, fragte Callie.
»Vielleicht muss er vorsichtig fahren, weil er sich keine Vollkaskoversicherung für den Mietwagen leisten konnte. Das sind ja heutzutage Unsummen«, mutmaßte Bets.
Anna erkannte erst nach mehrmaligem Blinzeln, dass eine Frau am Steuer saß. Plötzlich stellte sich Bobo auf die Hinterbeine, wedelte mit den Pfoten in der Luft und drehte eine Pirouette. Das Kunststück hatte er seit Jahren nicht mehr aufgeführt. Als der Wagen endlich hielt, stellte Anna fest, dass sie auf diesen Besuch nicht vorbereitet waren. Denn aus dem Wagen stieg ihre Ururenkelin Erin.
2.
Erin
E r in hatte Kidron nach ihrem Collegeabschluss vor zwei Jahren verlassen und war seitdem nicht mehr zu Hause gewesen. Sie redete viel zu schnell, sodass Anna kaum die Hälfte verstand, doch es war offensichtlich, dass ihre Ururenkelin in Schwierigkeiten steckte. Ihre Stimme hörte sich kläglich an, ihre Haut war aschfahl, und ihre Gesten standen nicht im Einklang mit ihren Worten. Eben hörte Anna sie sagen: »Ich brauche eine Pause, der Stress ist …«, dann malte sie mit den Händen einen Kreis in die Luft, als wollte sie ein großes Problem andeuten, für das sie nicht die richtigen Worte fand. Callie setzte sich neben sie aufs Sofa, und Bobo kletterte auf Erins Schoß und rollte sich ein.
»Du musst mehr essen«, sagte Bets und stellte einen Teller mit Oliven und Crackern auf den Tisch. »Deine Wangen sind ganz eingefallen, und spindeldürr bist du. Habt ihr nichts Gescheites zu essen bekommen? Ich dachte, in Italien gibt es genug Pasta und Brot?«
Callie setzte ein, als ihre Mutter eine Pause machte. »Bist du in New York zwischengelandet? Warum hast du nicht gesagt, dass du kommst, wir hätten dich doch abgeholt. Das Geld für den Mietwagen hättest du dir wirklich sparen können.«
Erin lehnte sich an Callies Schulter und schloss die Augen.
»Wir sollten sie erst einmal ins Bett schicken«, drängte Anna, die zunächst ohne Erin mit den anderen reden wollte. Sie mussten eine Erklärung für das merkwürdige Verhalten des Kindes finden.
»Ich bin alt genug, um mich selbst ins Bett zu
Weitere Kostenlose Bücher