Der Olivenhain
Brüder und gute Söhne. Deb hat ihre Wahl getroffen, Erin die ihrige. Dein Vater war anders. Frank hat Bets immer als gleichgestellte Partnerin betrachtet, und er hat sie nicht der Ländereien wegen geheiratet. Du weißt über ihn Bescheid, oder?«
Calliope zuckte mit den Schultern. Sie war noch nicht bereit, über ihren Vater zu sprechen. Und sie wollte nicht, dass Anna aufhörte zu reden. »Wie hast du das gemacht, Grandma? Wie bist du all die Jahre enthaltsam geblieben?«
Sie rechnete damit, dass Anna angesichts dieser Frage bleich werden würde, stattdessen aber warf sie den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus. Der Lärm rief Bets und Erin auf die Veranda, und Calliope musste ebenfalls lachen.
»Was ist so lustig?«, fragte Bets kopfschüttelnd.
»Diskretion«, antwortete Anna mit erstickter Stimme und gluckste dann wieder los.
Erin setzte sich in einen freien Schaukelstuhl. »Verratet es mir doch. Ich könnte etwas Aufmunterung gebrauchen. Das Baby bringt mich immer nur zum Weinen – ob nun aus Frust oder aus Freude. Ich bin es leid, zu weinen.«
7.
Das Liebespaar
S i e traf Amrit kurz vor Mitternacht in seinem Hotel. Calliope kam sich vor wie ein Teenager, als sie sich aus dem Haus stahl, kurz nachdem alle anderen schlafen gegangen waren. Barfuß schlich sie von ihrem Zimmer aus den langen Flur entlang und zog die Schuhe erst auf der Veranda an. Die Unterhaltung mit Anna hatte sie in ausgelassene Stimmung versetzt, und statt sich anständig zu kleiden, zog sie den einzigen ihrer Spitzen-BHs an, der fast alles an seine rechtmäßige Position zurückhob, sowie einen Unterrock statt einer Unterhose. Darüber trug sie nichts außer ihrem Regenmantel und einem Hauch Parfum.
Sie verstaute ihre Reisetasche mit dem anständigen Pyjama und der Wäsche zum Wechseln auf dem Rücksitz und dachte darüber nach, wie vollkommen egal es ihr früher war, ob ihre Aufmachung sexy war oder nicht. Der Vorzug der Jugend lag darin, dass der Körper allein ausreichte. Er musste nicht hochgeschnallt, eingezwängt oder im Dunkeln versteckt werden – heutzutage neigte sie dazu, ihre Nacktheit unter Laken zu verhüllen, bis sich beide Parteien zu weit vorgewagt hatten, um noch kehrtmachen zu können.
Calliope war klar, dass manch einer sie lächerlich finden könnte. Doch das war ihr egal, auch eine 66-jährige Frau konnte Sex haben, ohne lächerlich zu sein. Man musste sich nur Raquel Welch ansehen oder Sophia Loren, beide wunderschön und weit über sechzig.
Das Motel lag nicht weit von Hill House entfernt. Es war wie alles in Kidron auf die Bedürfnisse von Fernfahrern zugeschnitten und diente ihnen als Zwischenstopp, wenn sie zu müde waren, um es im Dunklen noch über den Mount Shasta zu schaffen. Hinter dem Motel parkten ein Dutzend anderer Autos. Callie legte roten Lippenstift auf, rückte ihren BH so zurecht, dass er ihren Busen anhob, und schnallte den Gürtel ihres Mantels enger.
Dann blieb sie einen Moment lang stehen und beobachtete die Schatten hinter den Vorhängen des Hotels. Als Flugbegleiterin hatte sie mit nicht wenigen Piloten geschlafen – allesamt älter als sie und größtenteils verheiratet. Es war ein merkwürdiger Gedanke, dass sie inzwischen älter war als die meisten dieser Männer damals.
Amrit öffnete die Tür nach dem ersten Klopfen. Sie lächelte und öffnete ihren Mantel.
»Wie amerikanisch von dir«, sagte er. Seine Stimme klang wie am Telefon: kehlig und gedämpft.
Sie trat auf ihn zu und atmete seinen Geruch ein. Er berührte ihre Brust, drückte sie sanft und ließ seinen Daumen unter die Spitze ihres BHs wandern. Sie stöhnte auf und jeder Gedanke an ihren hängenden, faltigen, runzeligen Körper war vergessen.
Calliope fühlte sich in die Zeit zurückversetzt, als sie das erste Mal einem Jungen erlaubte, ihre Brüste anzufassen. Sie verspürte dieses Gefühl von Macht und Unterwerfung, als es in ihrem Bauch zu kribbeln und zu brennen begann und das Feuer sich in ihrem Körper ausbreitete. Sie brannte darauf, das Feuer zum Lodern zu bringen, es in jedem Teil ihres Körpers zu spüren. Sie wusste von den vorigen Malen, dass Amrit über eine geradezu lästige Geduld verfügte. Sie riss an seinem Gürtel, und er nahm ihre Hände und legte sie sich ans Gesicht.
»Küss mich zuerst«, sagte er.
Er hatte weiche, volle Lippen und schmeckte nach Nelken. Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um seinen Mund zu erreichen. Seine Zunge drängte behutsam in ihren
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