Der Olivenhain
nach links auf den Parkplatz des Golden Sunsets einbog. »Das macht jeden Besuch zu einem Abenteuer«, sagte Amrit.
»Ja. Genau so ist es. Du weißt nie, wer du bist, bis er zu sprechen beginnt. Also, sei bereit mitzuspielen«, sagte Calliope.
»Athena«, sagte Frank, als er sie in den Gemeinschaftsraum kommen sah. Er saß neben seinem Freund Guy, der, obwohl er dreißig Jahre jünger war als ihr Vater, ein gutes Stück älter aussah. Calliope machte es nichts aus, dass ihr Vater sie mit seiner Schwester verwechselte.
»Frankie«, sagte sie und breitete die Arme aus. Sie umarmten sich unbeholfen. Der Filzhut ihres Vaters fiel zu Boden, und Amrit trat darauf. Er stammelte eine Entschuldigung, während er sich bückte, um ihn aufzuheben.
»Das ist lange her«, sagte Frank und betrachtete sie prüfend. »Du siehst gut aus. Dieses Funkeln in deinen Augen ist neu. Liegt es an dem Mann, den du mitgebracht hast, oder planst du zu verreisen?«
»Sowohl als auch«, sagte Calliope, und Guy lachte. Sie mochte den Freund ihres Vaters. Wenn er dabei war, war die Verwirrung ihres Vaters witzig. Seit es Guy gab, lachte er häufiger, während er vorher oft zornig gewesen war und die Heftigkeit seiner Wut Calliope oft Angst gemacht hatte.
Amrit reichte beiden Männern die Hand. »Ich möchte sie Ihnen entführen. Ich habe sie gebeten, zu mir nach Pittsburgh zu ziehen.«
»Na dann«, sagte Frank.
Guy ergriff Calliopes Hand und drückte sie fest. »Das ist schön für dich. Das brauchst du«, sagte er.
»Glauben Sie nicht, ich wäre schon einmal in Pennsylvania gewesen«, sagte Frank. »Welchem Geschäft gehen Sie dort drüben denn nach?«
Guy zwinkerte Calliope zu. »Erkennst du ihn denn nicht?«, fragte er Frank. »Vor dir sitzt einer der weltweit führenden Veterinäre für exotische Tiere. Er hat mit Elefanten in Indien gearbeitet, bevor der Ringling-Zirkus sie kaufte.«
Amrit riss die Augen auf und begann, Guy zu widersprechen.
Calliope, die sich amüsieren wollte, fiel ihm ins Wort. »O ja. Wir planen ein Reservat für exotische Tiere. Mit Löwen und Tigern und Bären.«
»Du liebe Güte!«, sagte Frank, und alle vier lachten wie die Kinder.
Calliope sah, wie Amrit lockerer wurde und Guys Beispiel folgte. Es war kaum vorstellbar, dass Frank derselbe Mann war, der ihre Mutter nach Debs Verurteilung beinahe zu Tode geprügelt hatte. Der Vorfall hatte sich drei Monate nach Debs Verurteilung zugetragen. Der Zustand ihres Vaters hatte sich über die Jahre hinweg stetig verschlechtert, aber das plötzliche Umschlagen seiner Demenz in wütende Aggression hatte sie alle entsetzt.
Calliope arbeitete damals sechzig Stunden pro Woche im Pit Stop und wohnte noch in dem kleinen Haus in der Butte Street, in das sie nach ihrer Hochzeit gezogen war. Zwischen Calliope, ihrer Mutter und Anna herrschte seit Monaten Funkstille. Die Kälte zwischen ihnen war zu Eis gefroren, als sie sich weigerte, ihnen mit Erin zu helfen.
Wenn Frank seine Frau nicht halb tot geschlagen hätte, wüsste Calliope nicht, ob das Eis zwischen ihnen jemals wieder aufgetaut wäre. Sie wollte damals gerade Feierabend im Pit Stop machen, als ein Nachbar anrief, der am Fuße des Hügels wohnte. Nancy, die erst seit Kurzem bei ihr arbeitete, nahm den Anruf entgegen, und Calliope erinnerte sich noch genau, wie sich ihre rötliche Gesichtsfarbe ganz gelb verfärbte. »Ihrer Mutter ist etwas Schreckliches zugestoßen«, sagte sie. Obwohl sie Calliope kaum kannte, befahl sie ihr regelrecht, nach Hill House zu fahren. »Dort spielt sich eine Tragödie ab«, sagte sie und schob Calliope aus der Tür.
Von den Polizisten, die sich am Fuße des Hügels postiert hatten, erfuhr Calliope, dass ihr Vater ihrer Mutter einen Arm gebrochen hatte und anschließend mit seiner Schrotflinte in den Olivenhain gelaufen war, wo er angefangen hatte, auf die Bäume zu schießen. »Sie wollen das Haus nicht verlassen«, sagte der Polizist. »Die Frauen und Ihre Enkelin haben sich im Hinterzimmer versteckt und weigern sich herauszukommen. Wir haben ein paar Männer losgeschickt, um nach Frank zu suchen.«
Calliope raste zum Haus hinauf, verfrachtete alle in ihr Auto und fuhr mit ihnen ins Krankenhaus. Ihre Mutter sah fürchterlich aus. Ihre Bluse war zerrissen und blutbefleckt; ihre Haare, die sie sonst zu einem ordentlichen Bob frisiert trug, waren zerzaust und standen teilweise zu Berge; an ihrer Kleidung hingen Blätter. Auf dem Weg ins Krankenhaus betete Anna ununterbrochen, doch es
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