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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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dem Auftrag gefüttert, sie lief seit zwei Stunden mit entblößten Armen umher, nur für den Fall, dass die Taan sie von außen filmten. Sie fragte das Schiff immer wieder, ob es irgendeine Art von Aktivität feststellen könne, und das Schiff sagte immer wieder nein. Und das, obwohl leichte Erschütterungen durch das Schiff gingen, Impulse, die schwach, aber deutlich wahrzunehmen waren. Als sie das Schiff fünfmal gefragt hatte, ob es eine Aktivität von außen feststellen konnte, kam sie auf eine andere Idee. »Was machst du eigentlich?«, fragte sie.
    »Ich baue mich um.«
    »Du baust dich um. Inwiefern?«
    »Ich baue mich um für den Opal. Meine Außenhaut wird gerade restrukturiert, damit sie sehr hohe Geschwindigkeiten in einem gasgefüllten Medium aushalten kann. Ich verändere meine Form ein wenig, damit sie stromlinienförmiger wird. Und ich studiere die Geschichte und die Kultur des Opals. Solche Sachen.«
    »Das ist ja wunderbar«, sagte Latil trocken. »Erzähl mir dann alles, wenn du damit fertig bist.«
    Das Schiff war also eine Chimäre. Chimären konnten sich jedweder Umgebung anpassen, waren der Sage nach so gut wie unzerstörbar und daher unvorstellbar teuer. Latil war noch nie mit einer Chimäre unterwegs gewesen und sie kannte auch niemanden, der je eine aus der Nähe gesehen hatte. Angeblich wurden Chimären nur von den Sayakh und den Dolza gebaut, einem anderen, völlig verschrobenen, unterirdisch lebenden Verein von Nanotechnikern, die ohne Augen und Haare auskamen und außer Raumschiffen überhaupt nichts bauten. (Die Sayakh und die Dolza waren einander Spinnefeind.) Eine Chimäre also. Nichts für sie. Sie schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie sich selbst aus einem der Bäume hervortreten, etwa in zwei Metern Entfernung. Das Mondo wirkte entspannt, es ließ die entblößten Arme hängen und vermied den Blickkontakt mit Latil oder tat vielmehr so, als sei sie überhaupt nicht da. Die Gesichtszüge des Mondos waren weich, die Augen blickten meditativ ins Leere, nur hier und da ein Blinzeln. Latil sah ihre eigenen grauen Haare, das Licht brach sich in den weißen Spitzen. Je länger sie hinsah, desto durchsichtiger wurde das Mondo. Das Letzte, was sich m Luft auflöste, waren ihre verschiedenfarbigen Augen.
    »Sehe ich so aus?«, fragte Latil das Schiff.
    »Manchmal«, sagte es philosophisch. »Ich habe übrigens die Kultur und Geschichte der Taan gleich fertig studiert. Soll ich dir dann alles erzählen?«
    »Was verstehst du unter ›alles‹«?
    »Etwa… 500 Terabyte Daten.«
    »Erzähl mir nur das Gröbste«, sagte Latil müde.
    Zwei Stunden später, als das Schiff bei den Begleitern angekommen war, unterbrach es sich plötzlich. »Sie kommen gleich«, sagte es. »Soll ich sie hereinlassen? Wir können uns weigern.«
    »Und um welchen Preis?«
    »Wir kämen nicht in den Opal. Schiffe meiner Art würden bei jeder weiteren Einreise besonders streng überprüft. Die Botschafter des Opals würden bei den Sayakh und beim Clan protestieren.«
    »Lass sie kommen.«
     
    Und wie sie kamen. Latil beobachtete ihren Auftritt vom Rand des Säulenwaldes aus, an einen jungen Baum gelehnt. Die Passage englouti öffnete die Tür zur Kommandozentrale und drei Taan traten ein, sicher, locker, freundlich lächelnd. Sie waren hoch aufgeschossen, steckten in eng anliegenden Anzügen von einer unbeschreiblichen dunklen Farbe und hatten einige Geräte dabei, die sich von selbst bewegten und teilweise aussahen, als wären sie geschmolzen oder sonst irgendwie beschädigt. Latil musste nicht lange darüber nachdenken, an wen sie die Taan erinnerten. Sie sahen alle miteinander aus wie Infoguras, wenn auch ein wenig gesünder. Sie hatten keine Antennen im Hirn stecken. Jedenfalls keine sichtbaren. Von der mitgebrachten Maschinerie machte besonders eine der schwebenden Schachteln Latil Kummer. Sie war weiß, sah aus wie ein großer Schuhkarton und bildete an ihrem Frontende regelmäßig geformte Trauben von blauen Blasen, die sich bei einer bestimmten Größe von dem Kasten abschnürten und zur Decke aufstiegen. Auf dem Weg dorthin verflüchtigten sie sich. Es begann eigenartig zu riechen. Die drei Taan, die Latil keines Blickes würdigten, besahen sich den Säulenwald mit der kaum gezügelten Neugier kleiner Kinder, die etwas geschenkt bekommen haben. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die Latil an verlangsamtes Vogelgezwitscher erinnerte. Sie

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