Der Opal
Kabine, in jedem Winkel des Schiffes. Die unregelmäßigen Frequenzwechsel sorgten dafür, dass es immer wahrnehmbar blieb.
»Und stell endlich dieses Gesumme ab. Es macht mich wahnsinnig.«
»Wir haben die Echo gebeten, damit aufzuhören«, sagte Haku vorsichtig.
»Warum gehorcht sie dann nicht?«
»Man kann der Echo nichts befehlen.«
»Siehst du, das meine ich«, sagte Latil. »Ich verstehe euer Leben nicht. Lasst mich gehen.«
»Wir gehen jagen«, sagte Haku, stand auf und verließ den Säulenwald. Der Stamm, an dem er gelehnt hatte, zeigte, wie er die Kommandozentrale verließ, dann das Schiff. Eine Plattform hatte ihn erwartet. Beim Blick von außen auf die geöffnete Schleuse stellte Latil fest, dass das Netz, das die Echo um die Passage englouti gesponnen hatte, fester und zäher geworden war. Latil war zu abgespannt, um sich zu fragen, was oder wen Haku jagen wollte, auch dass er einfach davongelaufen war, war ihr egal. Und jetzt wollte er also jagen gehen. Na wenn schon. Auch Eytarri war außer Sichtweite. Verlasst mich ruhig alle, dachte sie selbstmitleidig und kam sich albern vor. Jagen. Vielleicht konnte sie heute noch etwas töten, um ihre Frustrationen abzureagieren. Die Psychose war nicht mehr weit entfernt, und sie konnte sie nicht gebrauchen. Nicht in einer Umgebung wie dieser.
»Was denkst du«, fragte sie das Schiff. »Was will er?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete die Passage englouti.
»Du bist wenigstens ehrlich.«
»Ich bemühe mich.«
Latil stöhnte. Zweideutigkeiten. Immer nur Zweideutigkeiten. Sie war wie gelähmt. Sie saß nur da und nahm den grauen Nebel wahr, der sich langsam in ihrem Schädel ausbreitete. Ihr ganzer Körper wurde schlaff und leblos. Untrügliche Zeichen für einen Anfall. Hakus Stimme hielt sie gerade noch von dem Sprung auf den Wagen ab, der schon angelaufen war.
»Latil«, rief er.
Sie hörte den Wagen schwer und eisern davonrumpeln, als sie mit belegter Stimme antwortete. »Ja?«
»Lass uns jagen gehen. Schleuse N3.«
Sie war Haku dankbar dafür, dass er rechtzeitig zurückgekommen war. Aber sie beschloss, dass ein kleiner Streit ihre Lebensgeister schneller aktivieren würde als bloßer Gehorsam.
»Ich will nicht jagen gehen. Was jagt man hier überhaupt? Bürger?«
»Pattas. Komm jetzt, und bring Eytarri mit.«
Die Fläche an dem Stamm, die eben noch Hakus Gesicht gezeigt hatte, wurde schwarz. Was bildete der sich eigentlich ein?
N3 war eine Großschleuse, eigentlich für Lasten gedacht, aber Haku hatte eines der gläsernen Sphärenboote angedockt, mit dem sie noch am Tag zuvor über Linophrynes Seen geschwebt waren. Latil zögerte beim Einsteigen. Sie hoffte, dass Linophryne nun weit genug hinter ihr lag, mit seinen Schneckengehäusen, Hunden, Röhrenbahnen und Seen. Sie war sich allerdings auch nicht sicher, ob sie wirklich in einer gläsernen Kugel durch künstliche Wälder im Innern eines Raumschiffs fliegen wollte, um etwas zu jagen, das ›Pattas‹ hieß. Kulturschock, dachte sie, während sie sich auf einen der durchscheinenden Sitze niederließ. Der Opal ist ein einziger Kulturschock.
Eytarri konnte kaum sitzen, so aufgeregt war er. Erst als Haku ihm den Mund verbot, hörte er auf, »Pattas, Pattas« vor sich hin zu murmeln, aber er glühte weiterhin vor Eifer.
Haku hatte drei von den Stabwaffen mitgebracht, die er so leichthin auf seinem Schoß hin- und herschob, dass sie aussahen wie Spielzeug. Der Flug zu den Wäldern am Grunde des Seitenrumpfs war unspektakulär. Nur einmal wurden sie von einer der Lichtkaskaden getroffen, die zwischen den Querverstrebungen hin- und herliefen. Sie strahlten auf wie ein Regenbogen. Haku setzte das Boot tief im Wald neben einem Bach auf. Als Latil in den Moosflecken hineinsprang, auf dem die Kapsel gelandet war, wechselte gerade die Frequenz des Summens. Sie fuhr mit der Hand durch die winzigen Fruchtkörper des Mooses, die auf ihren feinen Stielen wie die Tastkörper eines Tieres mit grünem Pelz in die Luft ragten.
»Sternmoos«, sagte Haku. »Alles echt. Von der Echo.«
»Was sind Pattas?«, fragte Latil, die immer noch kniete.
Haku öffnete seine Hand, und sofort begann ein kleines, pelziges Wesen darauf herumzutanzen, vielleicht vierzig Zentimeter hoch, mit einem langen Schwanz, großen Augen und buschigen Ohren. Das Wesen sah wach und intelligent aus, etwa wie die Halbaffen, die Latil noch aus der Hortschule kannte. Sie fragte sich, wo der Mondoprojektor versteckt sein mochte, den
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