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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Auftraggeber zu misstrauisch gewesen. Ihr Job hatte darin bestanden, die Wache umzubringen. Einer ihrer ersten Jobs. Sie erinnerte sich genau an sein Gesicht, die Aufschrift auf der Tür des Lagerraums (03), das Summen der Lüftung. Beim Blick in die rot geäderten Augen des Toten war ihr so philosophisch zumute gewesen, dass sie beinahe den Zeitplan überschritten hätte. Tot, hatte sie gedacht, Mäuse. Sie erinnerte sich nicht einmal mehr an das Sternsystem, aber das Gesicht der toten Wache konnte sie nicht vergessen.
    Warum macht Kea das mit mir?
    Sie durfte nicht an Kea denken oder an die Spindel oder an sonst etwas, was sie wütend genug machte, um Sterne zu sehen. Das verringerte ihre Überlebenschancen. Als sie sich aus dem Schatten der Geräte herausbewegte, in deren Schutz sie an den toten Wachmann gedacht hatte, stolperte sie über eine Bodenwelle und fiel hin. Sie sah sich langsam fallen. Während ihr Körper blitzartig die Haltung einnahm, die das Abrollen am leichtesten machte und die Verletzungsgefahr verringerte, dachte sie: Schlecht verlegter Teppichboden. Auf einer Sayakh-Chimäre. Sie verletzte sich nicht, aber sie machte Lärm für zehn. Jetzt weiß sie, wo ich bin.
    Sie atmete geräuschlos, aber allein ihr Herz würde sie für so feine Ohren auf hundert Meter verraten, befürchtete sie. Sie wünschte sich, die Farbe und die Textur ihrer Umgebung annehmen zu können, um mit ihr zu verschmelzen. Sie wünschte sich, an der Decke entlanglaufen oder durch irgendeinen Seitengang in ein Nebenuniversum tunneln zu können. Nur nicht sterben wegen eines Stücks schlecht verlegten Teppichbodens.
    Sie kriegt dich, dachte sie. Als sie nach einer Minute noch lebte, lief sie weiter. Vielleicht abgelenkt. Vielleicht durchsucht sie meinen Kram noch nach dem Lexikon.
    Seltsamerweise wurde sie von dem Gedanken an Nidihann, die ihre schwarze Tasche auf der Suche nach dem Lexikon durchwühlte, neu motiviert. Der leicht gekrümmte Gang, der insgesamt nur etwa zweihundert Meter lang war, war von Versteifungsrahmen, Wendebuchten für automatische Wartungsfahrzeuge und sogar von Ruhebänken und Pflanzeninseln gesäumt. Alles lag still und leer. Ein bisschen Leben hätte Latil gut getan. Ein bisschen mehr Platz. Sie hätte Nidihann lieber in den Talwäldern der Echo gejagt als hier, obwohl sie sich hier besser auskannte als ihre Gegnerin. Dort unten hätte sie nicht eine solche Platzangst gehabt. Mittschiffs, etwa in der Nähe der Generatoren, sprang eine Gestalt in den Gang.
    Das ist interessant, dachte sie taub, während der Schock sie noch durchfröstelte und ihre Arme automatisch Deckungsposition einnahmen. Eytarri.
    Er war es tatsächlich. Er grinste sie mit seinen schlechten Zähnen an. Hat er Haku auch so angegrinst?, dachte sie. Dann legte er sich den Zeigefinger auf die Lippen und warf ihr einen Gegenstand zu, der ihr beinahe durch die Finger geglitten wäre, als sie ihn fangen wollte. Das Lexikon. Es war eingeschaltet. Als sie aufsah, war Eytarri verschwunden. Sie schien in einer leicht flimmernden Kugel von etwa zwei Metern Durchmesser zu stehen, deren Zentrum eindeutig das Lexikon war. An der Membrangrenze der Kugel wurde das Licht polarisiert, jedoch nur so schwach wie auf einer Seifenblase, die kurz vor dem Zerplatzen ist; auch waren die Farben etwas blasser. Die Membran erinnerte sie an die Grenze in Keas Audienzsaal, die dort die beiden Schwerkraftregionen voneinander trennte. Es schien, als höre sie nicht normal im Inneren der Kugel, und auf ihren Trommelfellen lastete ein starker Druck.
     
    In ihrer Kajüte stand einer der automatischen Chirurgen neben dem Bett. Noch bevor sie etwas anderes wahrnahm, registrierte sie die blinkende Anzeige des Geräts, die besagte, dass seine Aufnahmekammer für herausgeschnittenes Gewebe und abgesaugte Körperflüssigkeiten voll war. Über einem Stuhl neben dem Bett hing einer der schrecklichen Anzüge Nidihanns. Dieser hier trug keine fingerdicken pulsierenden Adern, sondern lauter Münder, die rot geschminkten Lippen über perlweißen Zähnen geöffnet. Man konnte die Münder atmen hören. Nidihann lag völlig nackt und mit geschlossenen Augen auf Latils Bett. Auch ihr Mund war leicht geöffnet, die Zungenspitze war zu sehen. Ein Begleiter saß zwischen ihren künstlerisch perfekt geformten Brüsten. Er bewegte sich langsam auf ihren Hals zu. Der Hals fehlte. Latil sah sich danach um, als würde er vielleicht noch auftauchen, wenn sie ihn nur gründlich genug suchte.

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