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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Unter dem Kinn und zwischen den Schultern Nidihanns, wo der Hals einmal angesetzt hatte, war weder Blut noch Gewebe zu sehen. Die geraden Schnittflächen, wo der Hals an beiden Enden abgetrennt worden war, waren erst vor kurzem mit einer sauberen Schicht künstlicher Haut bedeckt worden, die ihr Bestes tat, an einem toten Körper anzuwachsen. Nidihanns Kopf war noch so tief eingesunken in das selbstadjustierende Kissen des Bettes, dass er trotz der Abwesenheit des stabilisierenden Halses nicht zur Seite gerollt oder gar vom Bett gefallen war. Erst als Latil ihn in ihren gefühllosen Händen hin- und herdrehte, glitt er ihr aus den Fingern und rollte zu Boden. Das Geräusch, mit dem er aufprallte, war sehr hässlich. Der automatische Chirurg bewegte sich ein paar Zentimeter vor und zurück, als wisse er nicht genau, was er machen sollte. Es war, als erwache sie aus einem Traum.
    Ich habe gewonnen, dachte sie, meine Feindin ist tot.
    Auch die Münder an Nidihanns Anzug hatten aufgehört zu atmen. Jetzt erst bemerkte Latil, dass der Schallschirm noch immer eingeschaltet war und dass sie sich in die Hose gemacht hatte.
     
    Der Weg zurück zur Kommandozentrale war etwas beschwerlich. Sie fragte sich, wer Nidihanns Körper entsorgen würde. Sie fragte sich gleichzeitig, warum sie sich in ihrer Kajüte nicht die Zeit genommen hatte, wenigstens das Unterzeug zu wechseln. Sie kehrte noch einmal zurück und versuchte Nidihanns Überreste nicht zu bemerken. Der Chirurg war mittlerweile weggefahren, sie hörte ihn weiter hinten im Gang manövrieren, auf dem Weg zum Lazarett. Vielleicht wollte er seine Behälter leeren oder das Schiff fragen, wie er Nidihanns Kopf wieder annähen konnte.
    Als Latil einigermaßen gesäubert war, sagte sie: »Schiff?«, aber die Passage englouti antwortete nicht. Sie versuchte nicht genau hinzusehen und nicht genau hinzuspüren, als sie Nidihanns Kopf an den Haaren vom Boden aufhob und in das kabineneigene Entsorgungssystem fallen ließ. Alles weiterhin still und leer. Der Schallschirm schützte sie immer noch, sie hielt sich am Lexikon fest wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. »Lexikon?«, fragte sie, aber auch das Lexikon antwortete nicht. Die Tür zur Kommandozentrale öffnete sich problemlos. Der Säulenwald strahlte so hell, dass sie geblendet wurde. Jeder einzelne Baum war hell erleuchtet und flimmerte in rasch aufeinander folgenden Bildkaskaden. Obwohl hier nicht viel passierte, strahlte die Kommandozentrale eine überwältigende Atmosphäre der Überspannung, der frenetischen elektronischen Aktivität aus.
    Das Schiff rast, dachte Latil. Jetzt sah sie auch Kea. Sie saß seltsam verdreht auf einem Stuhl vor dem Bedienungsfeld. Latil ging langsam um sie herum, sie schien aus ihrem rechten Ohr zu bluten. Als Latil ihr in die Augen sah, stellte sie begrifflos fest, dass Keas Augen keine Pupillen mehr hatten. Sie waren ganz weiß. Niemand reagierte, als sie fragte: »Was ist mit ihr?« Alle sahen in eine Richtung und ihre Gesichter reflektierten das fahle Licht, das von den Bildschirmen ausging. Alle Schirme zeigten dasselbe Bild. Das eigenartig verschlungene Zeichen, das Domale Make Latil als das opalweite Piktogramm für ›Treue‹ übersetzt hatte, zersetzte sich langsam, aber sichtbar, Teile davon begannen sich aufzulösen, es schmolz vom Bildschirm.
    Dann sagte jemand mit der Stimme der Passage englouti: » Überraschung. «
    Dann ging die Welt in freien Fall über.
     
    »Sie kämpfen noch«, sagte jemand, und sie wachte auf wie aus einem langen Traum. Sogar ihr Körper fühlte sich erfrischt und gestärkt, als habe sie lange geschlafen, aber kaum dass sie aufgewacht war, war es mit der Erfrischung schon wieder vorbei. Der fehlende Hals Nidihanns fiel ihr ein, noch bevor sie den dumpfen Schmerz an ihrem Hinterkopf wahrnahm. Auch ihr Unterzeug war wieder feucht. Wenn das so weiterging, würde sie auf Windeln umsteigen müssen.
    »Wer kämpft?«, fragte sie mit belegter Stimme und versuchte sich hochzurappeln. Es gelang ihr erst beim zweiten Anlauf. Haku und die Soldaten saßen immer noch vor den Bildschirmen, aber Kea fehlte. In der Nähe des Säulenwaldes, im Schutz der kleineren Bäume, die das künstliche Unterholz des künstlichen Waldes darstellten, stand ein Zelt aus einer blassblauen, straff gespannten Haut, die transparent genug war, um den dunklen, länglichen Körper erkennen zu lassen, der sich unter ihr verbarg.
    »Was ist mit Kea?«
    Einer der Soldaten wies mit dem Kopf

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