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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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behauenem Marmor herum. Man hatte das Bauwerk lange verkommen lassen; noch in den Siebzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts hatten die Römer diese gewaltigen Korridore als Parkplätze benutzt.
    Schließlich traten wir in helles Sonnenlicht hinaus.
    Der Innenraum des Stadions war oval. Gänge führten auf mehreren Ebenen drum herum. Da wir früh dran waren, machten wir wie pflichtbewusste Touristen einen Rundgang um die Mauern und überquerten einen Holzsteg, der entlang der Achse des Stadionbodens verlief. Der ursprüngliche Holzboden war längst verrottet, und die gemauerten Zellen, in denen früher Menschen und Tiere gehalten worden waren und darauf gewartet hatten, auf der Bühne oben um ihr Leben zu kämpfen, lagen offen zutage.
    Nach etwa einer halben Stunde war es an der Zeit. Wir gingen zu einem kleinen Bücherstand, der in der Nähe des Haupteingangs in eine Nische gebaut war. Dort herrschte ein ziemliches Gedränge, denn es war der Sammelpunkt für die »offiziellen« Führungen.
    Es fiel mir nicht schwer, Lucia zu erkennen.
     
    Sie hatte das typische Aussehen der Frauen und Mädchen des Ordens: nicht groß, stämmig, mit dem ovalen Gesicht und den hellgrauen Augen dieser großen unterirdischen Familie. Ich hatte ziemliche Schwierigkeiten gehabt, das Alter der Menschen in der Krypta zu erkennen, aber Lucia sah richtig jung aus – vielleicht sechzehn, oder sogar noch jünger. Sie hatte eine Sonnenbrille mit blau getönten Gläsern auf den Kopf geschoben. Aber ihr gemustertes Kleid war schmutzig, der Saum eingerissen; es sah aus, als trüge sie es schon seit Tagen.
    Und ich sah zu meiner Überraschung, dass sie hochschwanger war.
    Als sie mich vor sich stehen sah – und die Ähnlichkeit unserer Züge bemerkte –, machte sie große Augen und umklammerte die Hand des Jungen an ihrer Seite.
    Er war ganz anders: vielleicht ein paar Jahre älter, größer, schlank, mit rötlichem Haar, das bereits von der blassen, runden Stirn zurückwich. Seine Augen waren leuchtend blau, und er sah uns misstrauisch an.
    »Da wären wir«, sagte Peter. »Ich nehme an, du bist Lucia – sprichst du Englisch?«
    »Nicht gut«, sagte sie. Ihre Stimme war heiser, und sie hatte einen starken Akzent.
    »Aber ich«, sagte der Junge, Daniel. »Ich bin Amerikaner.«
    »Schön für dich«, erwiderte Peter trocken.
    Ich versuchte, die Spannung etwas zu lösen. »Mein Name ist George Poole. Anscheinend sind wir entfernte Verwandte, Lucia.« Ich lächelte, und sie lächelte nervös zurück. »Und das ist Peter McLachlan. Mein Freund.«
    Daniel war nicht beruhigt. Er schaute trotzig drein, wirkte aber auch ängstlich. Er hatte bereits den Boden unter den Füßen verloren. Sein Internetkontakt mit uns, hergestellt in der Sicherheit seines Zuhauses oder irgendeines Cybercafés, war eine Sache, aber womöglich beschlichen ihn Zweifel, als er mit der Wirklichkeit zweier kräftig gebauter, schwitzender Männer mittleren Alters konfrontiert wurde. »Woher sollen wir wissen, dass wir euch vertrauen können?«
    »Du hast Kontakt zu uns aufgenommen, weißt du noch?«, sagte Peter.
    Ich hob eine Hand und warf Peter einen Blick zu. Geh nicht zu hart mit ihnen um. »Peter ist ein alter Freund«, sagte ich. »Er ist hier, um euch zu helfen. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit, und ich vertraue ihm. Reden wir miteinander. Wir können die ganze Zeit an öffentlichen Plätzen bleiben. Ihr könnt jederzeit gehen, wenn ihr wollt. Na, was meint ihr?«
    Daniel war immer noch unsicher. Er warf Lucia einen Blick zu. Sie nickte schwach.
    Also gingen wir den gebogenen Gang entlang. Die schwangere Lucia lief mit schweren, mühsamen Schritten neben uns her, die Hand im Kreuz. Daniel stützte sie, indem er sie am Arm hielt.
    »Was meinst du?«, flüsterte ich Peter zu.
    Er zuckte die Achseln. »Die arme Kleine sieht aus, als würde sie jeden Moment werfen… Glaubst du, Daniel ist der Vater?«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte ich wahrheitsgemäß. Aber irgendwie glaubte ich nicht, dass die Geschichte so einfach war.
    Peter kaute auf einem Nagel, eine Angewohnheit, die mir bisher nicht aufgefallen war. »Damit habe ich nicht gerechnet. Eigentlich geht’s hier doch um deine Schwester und ihre Sekte. In was sind wir da bloß hineingeraten?« Er hatte den ganzen Vormittag merkwürdig unruhig gewirkt, und seine Nervosität wuchs von Stunde zu Stunde. Ich hatte keine Ahnung, warum – aber ich wusste auch, dass es so einiges gab, was er mir nicht erzählte, nicht

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