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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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wie Wellen oder Kräuselungen, die in der Autoschlange hin und her laufen.«
    Es fiel mir schwer, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Zu vieles war heute geschehen. Ich saß in diesem schwankenden Wagen und fühlte mich, als träumte ich. Ich tastete nach dem Punkt, auf den er hinauswollte. »Der Orden ist also wie ein Verkehrsstau«, sagte ich. »Der Orden ist eine Art Rückkopplungseffekt.«
    »Auf den Orden kommen wir noch. Eins nach dem anderen.« Er kurbelte abrupt am Lenkrad, und wir entrannen dem Stau an einer Kreuzung, von der aus es zum Stadtzentrum zurückging.
    Wir brausten Mussolinis großartige Allee entlang, schossen über die Piazza Venezia und schlingerten nach links auf die Plebiscito. Peter rammte den duldsamen Punto in eine winzige Parklücke. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht gesehen hätte.
    Wir stiegen aus, verschlossen den Wagen und machten uns auf den Weg zu einer Bar. Ich wollte Kaffee. Peter ging bestellen, während ich uns einen Tisch suchte.
    Peter kam mit einer Flasche Bier zurück. »Das brauchst du mehr als Kaffee, glaub mir.«
    Und seltsamerweise hatte er Recht. Etwas am Gewicht der Flasche in meiner Hand, am kühlen Geruch des Bieres und dieser ersten subtilen Weichzeichnung der Wahrnehmung, als der Alkohol sein Werk tat, holte mich in die Realität zurück – oder jedenfalls in meine Version derselben. Ich hob die Flasche und prostete Peter zu. »Auf mich«, sagte ich. »Und auf das, was ich wirklich bin. Ein Anhängsel am Hals einer Bierflasche.«
    Er hob ironisch seine Cola Light. »Als Lebensziel reicht das«, sagte er ernsthaft. »Hauptsache, du gehst nicht in dieser Erdhöhle verloren…«
    »Emergenz«, sagte ich, »Verkehrsstaus.«
    »Ja. Und denk an Städte.«
    »Städte?«
    »Na klar. Wer plant Städte? Oh, ich weiß, heutzutage arbeiten wir daran, aber in der Vergangenheit – sagen wir, in Rom – wurde es nicht einmal versucht. Aber Städte haben trotzdem Muster, stabile Muster, die weit über jeden menschlichen Zeithorizont hinaus bestehen bleiben: Viertel, die der Mode, exklusiven Läden oder Künstlern vorbehalten sind; arme Bezirke mit hoher Kriminalitätsrate, hochwertige, reiche Gebiete. Helles Licht zieht noch mehr helles Licht an, und es bilden sich die ersten Cluster.
    Das ist Emergenz: Akteure auf einer bestimmten Ebene produzieren unbewusst Muster auf der nächsthöheren Ebene. Fahrer, die zur Arbeit rasen, verursachen Verkehrsstaus; Städter, die mit ihren Nachbarn mithalten wollen, lassen Nachbarschaften entstehen.«
    »Unbewusst. Sie erzeugen diese Muster, ohne es zu wollen.«
    »Ja. Genau das ist der Punkt. Lokale Entscheidungen, gekoppelt mit einem Feedback, und schon geht es los. Wir Menschen glauben, wir hätten alles im Griff. In Wahrheit sind wir verstrickt in emergente Strukturen – Verkehrsstaus, Städte, ja sogar Volkswirtschaften –, die ihre Wirkungen in räumlichen und zeitlichen Dimensionen entfalten, welche unsere Erkenntnisfähigkeiten bei weitem übersteigen. Und jetzt lass uns über Ameisen reden.«
    Das kam unerwartet. »Von Städten zu Ameisen?«
    »Was weißt du über Ameisen?«
    »Nichts«, sagte ich. »Außer dass sie beharrliche Mistviecher sind, wenn man sie im Garten hat.«
    »Ameisen sind soziale Insekten – wie Termiten, Bienen und Wespen. Und man kriegt sie nicht raus aus dem Garten, weil soziale Insekten so verdammt erfolgreich sind«, sagte er. »Auf einer Quadratmeile brasilianischen Regenwaldes gibt es mehr Ameisenarten als Primatenarten auf dem ganzen Planeten. Und es gibt mehr Arbeiterinnen in einer Ameisenkolonie als Elefanten auf der ganzen Welt.«
    »Du warst wieder im Internet.«
    Er grinste. »Dort findet sich das gesamte Wissen der Menschheit. Jeder weiß über Ameisenkolonien Bescheid. Aber das, was jeder weiß, ist größtenteils falsch. Nur die Königin legt Eier, nur die Königin gibt ihre Gene an die nächste Generation weiter. Bis hierher stimmt es. Aber du denkst wahrscheinlich, dass ein Ameisenhügel einer kleinen Stadt ähnelt, wobei die Königin als Diktatorin die unumschränkte Herrschaft ausübt.«
    »Nun…«
    »Falsch. Die Königin ist wichtig, George. Aber in der Kolonie hat niemand umfassende Kenntnis von den Vorgängen – nicht einmal die Königin. Es gibt keine einzelne Ameise, die dort drin Entscheidungen über das Schicksal der Kolonie trifft. Jede Ameise schließt sich nur den anderen an, um einen Tunnel zu bauen, weitere Eier umzubetten, Nahrung zu beschaffen. Aber aus all

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