Der Orden
über einer Schulter von einer silbernen Brosche zusammengehalten; die andere Schulter blieb unbedeckt. Er hatte dieselbe Hautfarbe wie seine Angehörigen, und sein Gesicht, so breit und grob wie das von Carta oder ihrem Onkel, konnte nicht unbedingt als hübsch bezeichnet werden. Doch als er sich wortlos vor Regina verneigte, war sein Blick intensiv.
Sie spürte, wie sich in ihrem Innern etwas regte: etwas Warmes, ja sogar Aufregendes – wenn auch gemischt mit der Angst und dem Abscheu, die sie angesichts von Septimius’ betrunkener Lust empfunden hatte. Sie wandte sich verwirrt ab. Ihr war bewusst, dass der Blick des Jungen ihr folgte.
Während Carta, Severus und die anderen den Karren entluden, brachte Carausias sie zu dem Zimmer, in dem sie schlafen würde. Es besaß einen schlichten Fliesenboden und grün gestrichene Wände. Zu Reginas Bestürzung standen zwei Betten darin, zusammen mit kleinen Schränken und Kisten. »Schläft Carta auch hier?«
»Nein.« Verlegen sagte er: »Carta und – äh – Severus wollen bestimmt zusammen sein. Ich habe ihnen ein weiteres Zimmer aufgemacht, in dem das Dach noch halbwegs in Ordnung ist… Marina wird hier bei dir schlafen.«
»Die Dienstmagd?«
Seine Miene gefror. »Marina ist eine gute Frau, und sie ist sauber und ruhig. Ich bin sicher, dass du dich wohl fühlen wirst.« Er zögerte. »Weißt du – Carta hat mir erzählt, was passiert ist. Ich weiß, dass du einiges durchgemacht hast.«
»Ich bin dankbar für eure Gastfreundschaft.«
Er winkte ab. »Schon gut. Ich werde Marina bitten, woanders zu schlafen, nur für eine Weile, bis du wieder zu dir gefunden hast. Vielleicht in der Küche. Sie ist eine gute Seele; sie hat bestimmt nichts dagegen. Du kannst das Zimmer eine Weile für dich allein haben. Was meinst du?«
Sie trat einen Schritt in das Zimmer. »Vielen Dank.«
»Möchtest du dich ausruhen? Falls du baden willst…«
»Nein.«
»Wenn Essenszeit ist…«
»Könnte ich hier essen? Auf meinem Zimmer?«
Carausias schien verblüfft zu sein, aber er breitete seine großen Hände aus. »Ich wüsste nicht, was dagegen spräche. Ich werde Carta später zu dir schicken.«
»Ja. Das wäre schön…« Sie machte dem freundlichen kleinen Mann die Tür vor der Nase zu und zog sich erleichtert in die Dunkelheit und die Stille zurück.
Bald darauf rollte sich auf einem der Betten zusammen – demjenigen, das frischer roch – und schlief, bis Carta mit einer kleinen Schüssel Wasser kam, damit sie sich waschen und ihre Kleider reinigen konnte.
An diesem ersten Tag verließ sie ihr Zimmer lediglich, um die Latrine in dem kleinen Badehaus aufzusuchen. Carta brachte ihr etwas zu essen und rief ihr freundlich ins Gedächtnis, dass sie gern mit der Familie essen könne. Regina stand jedoch nur vom Sofa auf, um in einem leeren Schrank ihr lararium zu errichten, einen behelfsmäßigen kleinen Schrein, in dessen Zentrum mürrisch und stumm die drei matres standen. Sie stellte eine brennende Kerze daneben und gab ihnen etwas von ihrem Essen und dem mit Wasser versetzten Wein, den sie dazu bekommen hatte.
Sie würden ihr gegenüber nicht ewig Nachsicht walten lassen.
Am zweiten Tag schleifte Carta Regina aus dem Zimmer, machte mit ihr einen langsamen Rundgang um den Hof und zeigte ihr das Haus.
»Hier haben wir das triclinium.« So lautete das lateinische Wort für Speisezimmer, abgeleitet aus den Liegebetten, die um drei Seiten der Tische standen. Der Mosaikboden war unbeschädigt, die Wandbemalung – Säulenimitate und Blicke in märchenhafte Gärten – sauber und ordentlich, obwohl sie verblichen wirkte. In einer Ecke des Gebäudekomplexes gab es einen noch eindrucksvolleren Raum, der jedoch mit niedrigen Tischen und Kochgerätschaften, Töpfen, Pfannen und Haufen von Besteck und Geschirr voll gestopft war; an einer Wand lehnte eine Reihe unten schmal zulaufender amphorae. »Früher einmal war das ein Empfangsraum«, sagte Carta ein bisschen wehmütig. »Jetzt ist es die Küche. Es hat hier sogar eine Fußbodenheizung gegeben, aber Carausias meint, dass man keine Arbeiter bekommt, die sie instand halten. Durchs Kochen wird es hier sowieso warm genug. Und der Hof geht nach Süden hinaus, weißt du; im Sommer ist er ein richtig sonniges Plätzchen.«
Privatgemächer, ein kleines Badehaus und eine schmale Treppe, die zum Familienschrein hinunterführte, säumten die restlichen beiden Seiten des Hofes. Das Haus war imposant, wenn auch nicht so imposant wie
Weitere Kostenlose Bücher