Der Orksammler

er.
    Hippolit schüttelte den Kopf, schloss die Augen und konzentrierte sich. »Dort entlang!«, befahl er und deutete auf den rechten der beiden Gänge. »Die Luft ist in dieser Richtung gesättigt von frischen thaumaturgischen Entladungen.« Er setzte sich wieder in Bewegung. »Wer immer sie verströmt, er kann nicht weit vor uns sein.«
    »Aber unser Mörder ist es nicht«, stellte Jorge fest. Er rannte gebückt, eine Hand auf die Brusttasche mit Pompom gedrückt, die andere zum Schutz seines Schädels zwischen Kopf und Tunneldecke. »Dessen Ausdünstungen konntest du ja nur mit diesem komischen Spezialtrick sichtbar machen, weil sie so dürftig waren. Wem also sind wir auf den Fersen?«
    »Wenn ich das wüsste!«
    Neue Abzweigungen und Kreuzungen taten sich auf, doch jedes Mal fiel es Hippolit leichter, die Richtung anhand der thaumaturgischen Spur zu bestimmen – ein eindeutiges Indiz, dass sich die Distanz zu dem Verfolgten stetig verringerte.
    Schließlich stolperten sie durch eine letzte, unregelmäßig geformte Tunnelmündung und fanden sich unvermittelt in einem breiten, ausgemauerten Korridor wieder. Er führte in einer weitläufigen Kurve von rechts nach links, wobei er steil anstieg. Wände und Boden waren säuberlich mit weißen und blauen Steinfliesen verkleidet, unter der Decke verlief eine armdicke gläserne Röhre, gefüllt mit einem hell leuchtenden Gas. Ein gleichmäßiges, dumpfes Dröhnen lag in der Luft, die nach Ozon und verschmorten Haaren roch.
    »Bei Batardos! Wo sind wir denn jetzt gelandet?« Stöhnend richtete sich Jorge zu seiner vollen Größe auf. »Das sieht mir nicht mehr nach Ghoul-Schächten aus.«
    Auch Hippolit sah sich für einen Augenblick verwirrt um, während er mit einer knappen Handbewegung den unnötig gewordenen Glutglobulus verschwinden ließ. »Hmm. Ich kenne das Innenleben des Hauses der Ewigen Flamme zwar nur von Skizzen her, aber dies scheint einer der umlaufenden Korridore zu sein, die spiralförmig im Innern der Kegelwandung verlaufen.
    Wie es aussieht, haben die Leichenfresser vor Jahrhunderten eine Verbindung zwischen ihrem Bau und dem Krematorium angelegt. Warum, wissen nur die Götter.«
    »Du meinst …« Jorge deutete auf die kurveninnere Wand des Flurs. »Hinter dieser Mauer köchelt die heißeste Flamme, die je in Sdoom geköchelt hat?«
    Doch Hippolit kam nicht dazu, etwas zu antworten, denn plötzlich ertönten wieder tappende Geräusche, diesmal ganz in der Nähe. Sie kamen von links, und wie es sich anhörte, handelte es sich um die Schritte von mindestens zwei Personen!
    Gleichzeitig rannten sie los.
    In dem geräumigen Korridor kamen sie bedeutend rascher voran als bisher. Binnen Minuten gewannen sie auf dem ansteigenden Korridor merklich an Höhe. Der Radius der Kurve wurde enger, was belegte, dass sie in die obere Hälfte des kegelförmigen Bauwerks vordrangen. Noch immer vibrierte die Luft unter einem dumpfen, subfrequenten Dröhnen.
    »Sag mal, M.H.«, keuchte Jorge und wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Kommt es mir nur so vor, oder wird es hier immer wärmer?« Er überlegte kurz und schluckte dann hörbar. »Wenn dieser Brennofen so heiß ist, wie du gesagt hast – müssten wir dann nicht schon längst gegrillt sein?«
    Hippolit fegte sich im Laufen eine Tolle seines schweißgetränkten Haars aus der Stirn. »Im Normalbetrieb wäre es in diesen Wartungsstollen tatsächlich zu heiß für jedes normale Lebewesen. Zum Glück läuft die Ewige Flamme bei Nacht mit verminderter Leistung, um Störungen der Anwohner durch Lärm und Qualm gering zu halten. Du weißt ja, die Krone tut alles, um die Bürger Torrlems hier zu halten. Nur rund ein Viertel der Förderbänder sind nach Einbruch der Dunkelheit noch aktiv und transportieren …«
    Hippolit hielt mitten im Satz inne.

Etwa drei Dutzend Schritte vor ihnen befand sich ein zweiflügeliges Portal in der Innenwandung der Kurve. Die massiven eisernen Tore standen offen, ein steter, unnatürlich gelber Lichtschein drang heraus.
    Doch nicht das Tor war es, was Hippolit anstarrte. Halb verdeckt vom vorderen der beiden Türflügel stand eine schlanke Gestalt mit halblangem blondem Haar, offenbar ein junger Mann, wenngleich sich das aufgrund des seltsam formlosen weißen Gewandes, das er trug, nicht sicher beurteilen ließ. Die Arme hatte er gegen den Türstock gelehnt, den Kopf darauf gebettet. Seine Brust hob und senkte sich hektisch. Wer immer er war, er schien am Ende seiner Kräfte.
    »Bei