Der Orksammler
nämlich ein gewisser Flarian!«
32
Lith und ihr Partner hatten Jorge und Hippolit noch nicht bemerkt. Und falls doch, schien ihnen die Anwesenheit der beiden auf dem gegenüberliegenden Wandelgang gänzlich egal zu sein. Versunken in etwas, das wie eine innige Umarmung anmutete, standen sie hinter emporwabernden heißen Luftschichten und regentropfengleich in die Tiefe stürzenden menschlichen Körpern und rührten sich nicht.
Unsicher griff Hippolit nach dem Geländer und zog sich daran Schritt für Schritt vorwärts, auf die beiden zu. Wie durch einen Schleier nahm er wahr, dass das Metall glühend heiß war und ihm die Handinnenflächen versengte.
»Ihr Liebhaber«, wiederholte er, kaum verständlich vor dem anhaltenden Rumoren aus der Hefe. »Sie hat ihn mithilfe von Behemals thaumaturgischer Technik vom Tode zurückgeholt. Unglaublich! Das Mädchen muss noch weitaus größere Kräfte besitzen, als ich oder Meister Kojomias ahnten! Ich frage mich nur … wozu das alles?«
»Das hegt doch auf der Hand, M.H.«, bemerkte Jorge, der ihm dichtauf folgte. »Sie will es sich eben mal wieder richtig besorgen lassen. Nichts gegen dich, alter Freund«, fügte er mit einem raschen Seitenblick hinzu, »aber nach allem, was ich gehört habe, bestand zwischen dem Mädchen und diesem Kerl eine innige …«
»Wozu?«, wiederholte Hippolit, als hätte er Jorge nicht gehört. »In den alten Aufzeichnungen heißt es, die Wirkung habe selbst bei Meister Behemal nur minutenlang angehalten. Was gewinnt sie, wenn sie ihn für so kurze Zeit zurückholt?«
»Ein paar Minuten sind besser als nichts«, fand Jorge. »Vielleicht wollte sie ihm nur noch mal rasch sagen, was er für schöne Augen hat?« Er zuckte die Achseln. »Was mich viel mehr interessiert: Wie hat es dieses hübsche, zerbrechliche Ding fertiggebracht, zwölf ausgewachsenen Orkkriegern – plus einem normalen Mann – den Hals umzudrehen und das Herz rauszureißen?«
Sie hatten gut ein Viertel der umlaufenden Galerie hinter sich gebracht. Lith und ihr Geliebter waren nur mehr ein Dutzend Schritte entfernt.
Jetzt wurde deutlich, dass es keineswegs eine normale Umarmung war, die die beiden vereinte: Flarian klammerte sich wankend an Liths Schulter, schwach und verletzlich wie ein Neugeborenes. Seine Knie zitterten, als sei er kurz davor zusammenzubrechen. Als er den Kopf hob und herübersah, erkannte Hippolit Schmerz in seinen edlen, leichenblassen Zügen – Schmerz und eine grenzenlose, nicht in Worte zu fassende Verwirrung.
Lith hatte die beiden Neuankömmlinge ebenfalls bemerkt. Ohne ihren Geliebten loszulassen, richtete sie sich zu ihrer ganzen Größe auf und reckte den Kopf in die Höhe, eine Geste voller Stolz und unbeugsamer Entschlossenheit. Ihre riesigen blauen Augen fixierten Hippolit, ihr Mund schien lautlos seinen Namen zu formen. Und dann, ohne ersichtlichen Grund, begann sie plötzlich zu lächeln.
Hippolit runzelte verwirrt die Stirn. Mehrere Augenblicke vergingen, bevor er realisierte, dass das Mädchen gar nicht ihn anlächelte, sondern etwas, das sich hinter ihm befinden musste!
Im nächsten Augenblick passierten mehrere Dinge so rasch nacheinander, dass ein normales Gehirn wahrscheinlich dem Eindruck erlegen wäre, sie geschähen gleichzeitig. Allein Hippolits thaumaturgisch geschulter, hellwacher Verstand ermöglichte es ihm, das rasende Gefüge von Ursache und Wirkung zu erahnen, das sich binnen Sekundenbruchteilen um ihn herum abspielte.
Ein ohrenbetäubendes Röhren erfüllte die riesige Halle. Hitze, direkter und lodernder als die ferne Glut der Ewigen Flamme, leckte von der Seite gegen Hippolits Gesicht.
Er wirbelte herum – und starrte in eine Wand aus Feuer! Aus dem Augenwinkel erkannte er Jorge, der das Verderben spuckende Rohr des Zerstörers mit beiden Händen umklammert hielt, um dem Rückstoß des Flammenstrahls standzuhalten. Er zielte auf einen Bereich der stählernen Balustrade, der zwischen ihnen und dem Portal lag, durch das sie vor wenigen Minuten eingetreten waren. Für Bruchteile von Sekunden fragte sich Hippolit, wieso Jorge ausgerechnet jetzt einen erneuten Probeschuss abgab.
Da erhob sich ein weitaus schrilleres Geräusch über das Fauchen der Feuerschleuder, ein urtümliches, hasserfülltes Gurgeln. Inmitten der Flammen zeichnete sich ein riesiger Schemen ab, höher als Jorge, dabei hager und drahtig wie eine überdimensionale Spinne. Eine hündische Fratze schoss aus dem züngelnden Wall hervor, flankiert
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