Der Outsider-Stern
Himmel.
Über ihnen lag ein Netz blauen und violetten Feuers. Gewaltige Lichterscheinungen wanden sich in einer Vielfalt fahler Farben schwerfällig und lautlos über das Firmament. Die Bäume warfen Schatten auf den steinigen Hang, verwaschene farbenreiche Schatten, die mit den Bewegungen des Leuchtens wallten.
Der Bürger mit dem Schreckensrachen schob sein langes Maul neben Quamodians Wange, der daraufhin dessen heißen, nach Fisch riechenden Atem im Ohr spürte. »Dieses Schauspiel macht einen ungewöhnlichen Eindruck. Haben Sie eine Erklärung dafür?«
»Ich glaube, unsere Sonne hat sich in einen Outsider verwandelt«, sagte Quamodian. »Den Grund weiß ich nicht.«
»Aber das ist unmöglich«, schrie die Frau. »Sol besitzt keinen Intellekt. Man hat niemals eine Spur von psychischer Tätigkeit festgestellt.«
Quamodian breitete die Arme aus. »Dann liefern Sie uns eine Erklärung«, sagte er.
»Wir haben Reflexivintensität stellarer Emissionen verzeichnet«, sang der Chor der grasgrünen Spiralen. »Schätzungsweise doppelter Normalwert. Drei Mutmaßungen: Erstens, dieser Stern entwickelt sich zur Nova – unwahrscheinlich. Zweitens, die stattgefundenen Messungen zur Feststellung eines Intellekts bei diesem Stern waren fehlerhaft – unwahrscheinlich. Drittens, eine Psyche ist entstanden.«
»Sie meine, er sei zum Outsider geworden?« vergewisserte sich die Frau. »Welche Wahrscheinlichkeit ordnen Sie dieser Vermutung zu?«
»Keine Wahrscheinlichkeitsquote fixierbar«, sangen die Spiralen. »Vergleichbare Daten fehlen.«
»Bericht an Almalik«, befahl die Frau knapp. »Sie, Bürger. Sie besitzen transpsychische Fähigkeiten.«
»Unser Kontakt mit Almalik ist gestört«, antworteten die Spiralen. »Wir können seine Signale nicht verstehen. Auch erhalten wir keine Bestätigung unserer eigenen Meldungen.«
»Vergessen Sie Almalik!« Quamodian hatte endgültig genug. »Und scheren Sie sich nicht um die Sonne. Darum können wir uns später kümmern. Gegenwärtig mache ich mir Sorgen um ein Mädchen namens Molly Zaldivar. Vielleicht ist sie irgendwo in der Nähe, mit oder ohne den Outsider. Kann jemand von Ihnen sie irgendwo wahrnehmen?«
Schweigen.
»Geben Sie sich gefälligst Mühe!« brüllte Andreas Quamodian.
Schließlich hob der Bürger mit dem zähnestarrenden Rachen seine fleischige Nase. »Seit geraumer Zeit«, greinte er verdrossen, »bemerke ich auf dem Hügel dort die Anwesenheit einer Beute.«
»Beute?«
»Ein angestammter Begriff«, erläuterte der Bürger. »Ich meine, ich bemerkte ein Lebewesen, und zwar mittels einer besonders verfeinerten Fähigkeit zur Analyse chemischer Spuren in der umgebenden Luft. Was Sie den Geruchssinn nennen. Aber ... ist es nicht so, daß Senior-Monitor Kwai Kwich ein weiblicher Mensch und Sie ein männlicher Mensch sind, Monitor Quamodian?«
»Selbstverständlich.«
»Dann kann diese Beute nicht der von Ihnen gesuchte Mensch sein. Er ist männlich. Und er ist ernstlich verletzt.«
Sie folgten dem Verlauf der Straße und landeten am Hügel, woher der Bürger den Geruch eines Mannes aufgefangen hatte.
Der Mann war der Reefer. Er lehnte zusammengesunken an einem Baumstamm. Im wabernden Schein der Leuchtphänomene wirkte er grau und krank. Ein Arm, dick angeschwollen, lag in einer Schlinge. Teilnahmslos starrte er den Gleiter an, als Quamodian nach draußen sprang.
»Mit Ihnen habe ich noch ein ernstes Wort zu reden«, schnauzte Quamodian.
»Machen Sie's kurz«, grollte der Reefer heiser. »Ich bin erledigt.«
»Wo ist der Outsider? Wo ist Molly Zaldivar?«
Unbeholfen verlagerte der Reefer sein Körpergewicht, dabei bestrebt, nicht seinen geschwollenen Arm zu bewegen. »Fort. Keine Ahnung, wohin.«
»Wann?«
Müde schüttelte der Reefer den Kopf. Bleich vom Schmerz, zog er einen kurzen schwarzen Stengel aus der Tasche, biß ein Stück davon ab und begann grimmig darauf zu kauen. »Eine Wurzel, die auf den Sternenriffen wächst«, sagte er mit kaum vernehmlicher Stimme. »Schmeckt scheußlich, aber sie lindert den Schmerz. Sie war seit jeher mein persönlicher Ersatz für Almalik. Wohin der Outsider ist? Ich weiß es nicht. Am Nachmittag hat er mich hier fallen lassen. Vor ein paar Stunden ging drüben etwas vor ...« Er deutete matt zum Berg über dem Höhlensystem hinüber. »Ich habe etwas Helles am Himmel gesehen.«
»Diese Lichterscheinungen?« fragte Quamodian.
»Nein, die kamen erst mit der Dämmerung. Etwas anderes. Ich glaube ...« Seine
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