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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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für Außenseiter empfunden.

6
     
    Das Árni-Magnússon-Institut, in dem die isländische Manuskript- und Handschriftensammlung untergebracht ist, liegt am Rande des Universitätsviertels in Reykjavik. Den meisten Menschen jagt die graue Fassade des Universitätsgebäudes einen Schauer über den Rücken, aber mir wird dabei vor Glück warm ums Herz; ich fühle mich zu Hause.
    Professor Dr. phil. Thrainn Sigurdsson sitzt gebeugt hinter seinem übervollen Schreibtisch und starrt mit zusammengekniffenen Augen auf einen Text, wobei er lautlos die Lippen bewegt wie in einer stummen Beschwörungsformel. Sein Name und der gewichtige Titel sind in ein Bronzeschild graviert, das bedrohlich nah an der Tischkante steht. Er blickt auf, als ich an die offen stehende Tür klopfe, erhebt sich und gibt mir die Hand. »Jajaja …«, murmelt er vor sich hin. »Mein Beileid.«
    Island hat einen nationalen Feiertag ausgerufen, als sie die alten Manuskripte zurückbekommen haben, die Árni Magnússon zeit seines Lebens gesammelt und zusammengetragen hat. Magnússon hatte sein Lebenswerk unmittelbar vor seinem Tod im Jahre 1730 der Universität in Kopenhagen vermacht. Erst in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts hat Island die Sammlung zurückbekommen. Das Fernsehen hat damals alles live übertragen. Die arbeitende Bevölkerung und alle Schüler bekamen frei. Hausfrauen, Angestellte, Studenten und Taugenichtse waren im Hafen versammelt, als das Schiff mit der Arnamagnæanske Samling in Reykjavik ankam. Die Isländer hängen wirklich an ihren Sachen.
    »Gibt es irgendeinen Zusammenhang?«, fragt Thrainn.
    Die Zeitungen haben mehr als ausführlich über den Mord berichtet. Aber die Polizei hat nichts von dem verschwundenen Dokument gesagt.
    »Sie haben den Codex gestohlen«, sage ich.
    »Haben Sie eine Kopie?«
    Ich schüttele den Kopf.
    Eine Weile diskutieren wir darüber, was für Geheimnisse Snorri in seinem Text verborgen haben könnte. Ich beschreibe den Wechsel zwischen Snorris eigener Handschrift – was Thrainn bezweifelt – und der älteren Runenschrift. Dann zeichne ich ihm auf einem Zettel die Symbole auf, die in dem Manuskript mehrmals auftauchen: Anch. Ty. Kreuz. Pentagramm.
    Gemeinsam suchen wir nach einer Erklärung, doch ohne Erfolg.
    »Anch«, sagt Thrainn. »Die Hieroglyphe für das ägyptische Wort, das Leben bedeutet. Ein Symbol für das ewige Leben und die Wiedergeburt. Ty, ein Runenzeichen aus dem älteren futhark für den nordischen Kriegsgott Tyr. Das lateinische Kreuz. Crux ordinaria . Ein Symbol für das Christentum und das Martyrium Jesu. Das Pentagramm. Ein fünfzackiger Stern. Ein heiliges geometrisches Zeichen aus dem Altertum.«
    »Sira Magnus und ich haben mit der Theorie gespielt, dass Snorri in seinen Sagas Andeutungen und Hinweise versteckt haben könnte.«
    »Auslassungen und Änderungen sind bei Faksimileausgaben und handschriftlichen Kopien der Originalpergamente nicht ungewöhnlich. Ganz besonders, was den Randtext angeht.«
    »Dass Teile des Textes weggelassen werden, meinen Sie?«
    »Oder hinzugefügt. In Uppsala in Schweden gibt es Faksimileausgaben von Snorris Texten. Aber bestimmt gibt es auch unbekannte Papierkopien von alten und abweichenden mittelalterlichen Versionen. Wenn wir die neuesten Versionen Wort für Wort mit dem Original vergleichen, könnte uns das weitere Informationen liefern. Aber das wäre eine sehr mühsame und umfangreiche Arbeit.«
    »Wir wissen nicht, wonach wir suchen. Sira Magnus und ich haben über die Möglichkeit diskutiert, ob dort eventuell Beweise für eine Verbindung zwischen der nordischen und der ägyptischen Kultur zu finden sind. Der Beweis dafür, dass alles – von den Wikingerschiffen über die Stabkirchen bis zu den Landkarten und zur Mythologie – von den Ägyptern beeinflusst war.«
    Thrainn bleibt sitzen und sieht aus dem Fenster. Neben ihm an der Wand hängt die Fotografie einer Figur, die eine Hand um ihren langen Bart gelegt hat. Der Bart sieht aus wie ein auf den Kopf gestelltes Anch. Die Bronzefigur aus dem 11. Jahrhundert wurde 1815 bei Eyjafjördur in Island gefunden.
    »Ist Ihnen jemals in den Sinn gekommen, dass es sich um eine Fälschung handeln könnte? Dass jemand irgendwann im Mittelalter den Codex geschrieben haben könnte, um jemand anderen damit zu täuschen?«
    Natürlich war mir dieser Gedanke auch schon gekommen. Die Museen der Welt sind voller Fälschungen. Ich öffne die Tasche und lege ein Faksimile der Saga vom heiligen

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