Der Pakt der Wächter: Roman
erwachsenen Frauen zu eigen ist, die das verspielte junge Mädchen in sich bewahrt haben. Ihr hellbraunes Haar reicht in ungezähmten Locken bis weit über den Rücken. In dem einen Nasenflügel entdecke ich einen winzigen Brillanten. Ihre Körperhaltung und ihre Figur deuten an, dass sie viele schmerzhafte Stunden in einem Fitnessstudio ausgehalten hat. Sie begrüßt mich mit festem Händedruck und wachem Blick.
»Sie also sind der Mann, der den Shrine of Sacred Secrets gefunden hat.«
Ihre Stimme ist warm und ein wenig heiser, als würde sie am liebsten gleich ins Bett gehen, und das nicht allein.
Ich sehe ihr an, dass sie meine Gedanken lesen kann, und erröte.
Wir setzen uns an eine Tafel, die so lang ist, dass das ganze norwegische Parlament daran Platz gefunden hätte.
Während die Kellner Platten mit exotischen Horsd’œuvres servieren, erzählt Esteban die Geschichte des Miércolespalastes und der Familie Rodriquez – eine Geschichte von Staatsmännern und Taugenichtsen, von Rittern und Taschendieben, von Jungfrauen und Nymphomaninnen, von Heiligen und schwarzen Schafen. Zwischendurch richtet er sich mit kleinen Spitzen an Beatriz, die sie mit nachsichtiger Würde und kalten Blicken überhört. Sophia sagt kein Wort. Sie ist in ihre eigene Welt aus Gleichgültigkeit versunken. Javier erzählt lauthals von einem Fest in Cap Ferrat, wo Mick Jagger einem Finanzmann Champagner ins Gesicht geschüttet hat, der sich etwas zu freimütig an der Frau des Gastgebers vergriffen hat. Javiers Englisch hat einen spanischen Akzent, der den Frauen wahrscheinlich die Kleider vom Leib reißt. Sein Lachen hat etwas Lüsternes. Sophia und Graciela stochern in ihrem Essen. Esteban fragt Beatriz, ob sie mit ihrer Abhandlung vorankommt. Sie antwortet ausweichend und sucht Hilfe bei Sophia, die wegschaut und mit mechanischen Kieferbewegungen kaut. Javiers albernes Gekicher vermasselt die Pointe einer Geschichte von George Michael in einem Schuhladen in der Fifth Avenue.
Wir sitzen gut zwei Stunden am Tisch und betreiben Konversation. Ich fühle mich außen vor. Die anderen speisen karibische Gerichte wie Pelau, Hühnchen in Curry und Chili, gewürztes Channa und Fisch in Salzkruste mit Aubergine. Mir wird rohes, gebratenes, gekochtes, gegrilltes und mariniertes Gemüse serviert, von dem ich in meinem Leben noch nichts gehört habe. Wir trinken einen exklusiven Wein aus dem Weinkeller des Palastes. Währenddessen beobachte ich verstohlen Beatriz. Ich bin nicht sicher, ob sie es bemerkt. Ich glaube aber schon. Sie ist ungeheuer schön. Falls sie meine Gedanken liest, verbirgt sie es gut. Vielleicht spielt sie ja mit mir. Glücklicherweise gibt es Bereiche in meinem Hirn, in denen meine Fantasien unauffällig wie in Quarantäne leben.
2
Nach dem Essen trinken die Herren einen Cognac und rauchen eine Zigarre, während die Damen in einem angrenzenden Salon sitzen und einen Portwein nippen. Danach versammeln wir uns in einem Raum, den sie Diele nennen und aus dem hohe Glastüren auf die Terrasse führen. Gegen zehn Uhr verabschieden sich Esteban und Sophia. Graciela taut regelrecht auf, nachdem ihre Eltern gegangen sind. Ich höre sie zum ersten Mal lachen. Aber nach einer guten Viertelstunde ziehen sich auch Javier und Graciela zurück.
In der Stille, in der sie uns zurücklassen, stehen Beatriz und ich in der offenen Flügeltür und schauen ins Freie. Ich genieße die prickelnde Gewissheit, mit ihr allein zu sein. Rein theoretisch müsste ich nur zwei kurze Schritte zu ihr überwinden, um sie an mich zu ziehen, sie festzuhalten und ihren Körper an meinen zu pressen.
»Wollen wir ein wenig frische Luft schnappen?«, fragt sie.
Sie wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Wahrscheinlich hat sie wieder meine Gedanken gelesen. Mir wird flau. Ich bin erregt. Sie hakt mich mit einem leisen Lachen unter und führt mich auf die Terrasse. Ich hätte Lust, sie zu küssen, aber so etwas Verwegenes würde mir natürlich niemals einfallen. Wir setzen uns in die tiefen, weichen Gartenmöbel. Zwischen den Bäumen glitzern die Lichter von Santo Domingo wie eine ferne Galaxie. Der Lärm der Großstadt erreicht uns wie ein leises Raunen.
Der Park hallt von den Balzrufen der Vögel, Frösche, Grillen und Kleintiere wider.
»Können Sie sich vorstellen, dass ich einmal ein Hippie war?«, sagt Beatriz unvermittelt.
Ich versuche, eine Augenbraue zu heben, habe aber leichte Probleme mit der Koordination meiner Gesichtsmuskeln,
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