Der Pakt der Wächter: Roman
hier im Miércolespalast hinter verschlossenen Türen lagern oder bei Scheich Ibrahim in den Emiraten, spielt für Forscher und Publikum eigentlich keine Rolle.«
»Der Scheich hat uns einige Schriften unmittelbar vor der Nase weggeschnappt. Aber das Gleiche behauptet er sicher auch von uns. Kommen Sie mit, es gibt jemanden, den Sie treffen müssen.«
Der Mann ist so hager, so mager und so blass, dass ich mich frage, ob man ihn im Gegenlicht überhaupt sehen würde. Seine Haut ist mindestens so kreideweiß wie meine. Vielleicht fühle ich deshalb eine Art Seelenverwandtschaft zu ihm. Durch die grauen Strähnen sehe ich die Sternenkarte der Leberflecken auf seiner Kopfhaut. Die Nase ist spitz und krumm und voller Haare. Sein Blick ist nach innen gerichtet, auf eine ihm selbst vorbehaltene Welt.
Sein Schlafzimmer dient auch als Arbeitszimmer. Als wir anklopfen, sitzt er mit einem Tee an einem Schreibtisch, der vor Papieren, Büchern und Dokumenten nur so überquillt.
»Das ist der Konservator«, sagt Beatriz. »Er hat bei uns keinen anderen Namen. Nur Konservator.«
Er reicht mir seine knochige Hand. Es fühlt sich an, als gäbe man einem Skelett die Hand.
»Ich habe über Sie gelesen«, sagt er mit einer Stimme, die genauso trocken und brüchig ist wie das Büttenpapier auf seinem Tisch.
Beatriz legt ihm voller Zärtlichkeit die Hand auf die spitze Schulter. »Wir sind alte Freunde. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben. Er war mein erster Babysitter. Dann wurde er mein Freund und Mentor. Er wohnt und arbeitet jetzt schon seit 1942 hier im Miércolespalast. Seit seiner Flucht aus Warschau …«
»…als Junge, wissen Sie!«
»Er kam über Kopenhagen, Boston und Havanna hierher. Mein Vater erbarmte sich seiner bei einem seiner seltenen Anfälle von Menschlichkeit. Der Konservator war es, der mein Interesse an Geschichte und Theologie geweckt hat. Und für all das, was in alten Schriften verborgen ist.«
»Wenn ich richtig informiert bin, teilen Sie unsere Hingabe für die Schätze der Vergangenheit«, sagt der Konservator. Seine Stimme ist leise, ein Flüstern, wie das Spiel des Windes mit den Seiten eines auf einer Parkbank vergessenen Buches. Als sich unsere Blicke begegnen, scheint sich eine Tür zu seinem Inneren zu öffnen, in einem beinahe halluzinatorischen Leuchten sehe ich einen unendlichen Flur mit Büchern, bedeckt vom Staub der Jahrhunderte. Dann ebbt diese Illusion wieder ab, und ich sehe nur noch die geplatzten Adern in seinen feuchten Augen.
Er senkt den Kopf. »Beatriz ist ein liebenswerter Mensch, nicht wahr? Seien Sie froh über ihre Freundschaft und Hingabe.«
Ich weiß nicht recht, was ich antworten soll. Hinter seinem feierlichen Wesen ahne ich einen Menschen, der mich mit listiger Ironie auf die Probe stellt.
»Als ich im Ausland gelebt habe«, sagt Beatriz, »war ich dank der Briefe und Anrufe des Konservators immer auf dem Laufenden über das Leben hier im Palast. Die Begegnungen mit ihm waren das Einzige, auf das ich mich gefreut habe, wenn ich hierher zurückgefahren bin.«
Der Konservator blinzelt fragend den Ausdruck an, den Beatriz in den Händen hält. Sie nickt unmerklich. Er beißt sich auf die Unterlippe. Sie reicht ihm die Papiere. Mit zittrigen Fingern nimmt er den Stapel entgegen und zieht seine Lesebrille aus der Brusttasche. Aufgeregt und kurzatmig starrt er auf den Ausdruck. Sein Blick huscht über die Zeilen. »Endlich«, flüstert er mehrmals, ehe er zu Beatriz aufblickt: »Das ist es!«
»Das habe ich doch gesagt.«
»Ich habe es einfach nicht zu glauben gewagt, aber es stimmt wirklich!«
4
Der Konservator hat drei Gläser Sherry eingeschenkt. Beatriz und ich haben auf seinem Bett Platz genommen. Er selbst sitzt auf dem hohen Stuhl, der am Schreibtisch steht.
»Der Wikingerkönig Olav hatte überhaupt keine Ahnung, was er erbeutet hatte«, sagt der Konservator. Der Sherry hat einen feuchten Film auf seiner Oberlippe hinterlassen. »Er hatte es bestimmt nur auf den goldenen Schrein abgesehen, in dem die Dokumente aufbewahrt wurden.«
»Das Originalmanuskript«, sagt Beatriz, »befindet sich hier im Miércolespalast.«
»Esteban sagt, es sei nichts Besonderes.«
»Esteban lügt.«
»Ist es möglich, einen Blick darauf zu werfen?«
»Nicht ohne Weiteres. Nur Esteban und ich haben Zutritt. Der Bereich ist bestens gesichert. Jedes Mal, wenn wir die Tür öffnen, wird das in einem Überwachungsjournal registriert. Esteban würde bestimmt Auskunft von
Weitere Kostenlose Bücher