Der Pakt der Wächter: Roman
Kreuz auf den Tisch.
»Wie Sie wissen«, sagt er, »glauben viele, dass Snorri mit diesem Text nichts zu tun hat.«
»Er beinhaltet einen Code.«
Sein Blick ruht etwas zu lange auf mir.
»Den Sira Magnus und ich geknackt haben«, fahre ich fort.
»Einen Code?«
»Ich glaube, dass sich irgendwo bei Thingvellir eine heilige Höhle befindet.«
Thrainn lacht herzlich. »Eine heilige Höhle? Bei Thingvellir? Also wirklich …«
»Und ich weiß auch in etwa, wo die liegt.«
»Wissen Sie was?«, er lacht noch immer gutmütig. »Das glaube ich nun wirklich nicht.«
Es ist an der Zeit, ihm den Gnadenstoß zu versetzen, weshalb ich ihm die Beschreibung zeige. Die Zahl des Tieres weist den Weg entlang der Felswand von Lögberg nach Skaldbreiđur …
»Also«, sagt der Professor, »wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
7
Noch am selben Abend beziehe ich ein Zimmer im Hotel Leifur Eiríksson vor der Hallgrímskirche in Reykjavik. Durch das Fenster dringt das Brummen einer Kehrmaschine draußen auf der leeren, stillen Straße. Die Hallgrímskirche badet in weißem Licht. Ihre Fassade erinnert an die Spitzen eines Eisbergs, der ganz allein über ein weites, ödes Meer treibt.
Ich spaziere die Straße hinunter und gehe in das vegetarische Restaurant Á næstu grösum, wo ich eine Suppe und eine Gemüselasagne zu mir nehme.
Abends im Hotelzimmer ruft mich der Polizeichef von Borgarnes an. Er hat den Obduktionsbericht bekommen.
»Sira Magnus ist an einem Herzinfarkt gestorben.«
Ich sage so lange nichts, dass er mich schließlich fragt, ob ich noch am Apparat bin.
»An einem Herzinfarkt. Im Badebecken?«
»Er kann hineingefallen sein. Er hatte ein bisschen Wasser in der Lunge, aber nicht genug, um daran zu ersticken. Es war das Herz.«
»Was hatte er in dem Bad verloren? In voller Bekleidung? Und was ist mit dem verschwundenen Pergament? Und dem Blazer?«
»Natürlich führen wir die Ermittlungen fort. Aber ein Herzinfarkt ist kein Mordfall.«
Der Polizeichef verspricht mir, mein Handy im Laufe des nächsten Vormittages an der Rezeption abzuliefern. Er spricht es nicht laut aus, aber ich verstehe trotzdem, dass das MMS-Bild und die Nachricht von Sira Magnus jetzt nur noch von akademischem Interesse sind.
»Was, glauben Sie, hat den Herzinfarkt ausgelöst?«, frage ich spitz.
»Natürlich kann er bedroht worden sein. Aber es wird vor Gericht schwer zu beweisen sein, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Herzinfarkt und dem angeblichen Diebstahl des Codextextes gibt.«
Wenn ein Polizist angeblich sagt, bedeutet das, dass er sich über die tatsächlichen Geschehnisse nicht sicher ist. In gewisser Weise kann ich ihn verstehen.
Im Hotelzimmer versuche ich, meine Notizen zu sortieren und eine Logik in unseren Erkenntnissen aufzuspüren. Gehören die Araber zu einer Bande, die sich darauf spezialisiert hat, Kulturschätze zu stehlen und auf dem illegalen Sammlermarkt anzubieten? Im Nahen Osten gibt es viele steinreiche Ölscheichs, in deren Kellern sich Kunstschätze stapeln, die jedes Museum mit Kusshand nehmen und voller Stolz in gut gesicherten Glasvitrinen ausstellen würde. Trotzdem gibt es vieles, das mich verunsichert. Ich kann kein Gesamtbild erkennen. Die Jahreszahlen, die Chronologie und die verschiedenen historischen Stränge ergeben einen einzigen Wirrwarr. Ich bin zu müde, um mich zu konzentrieren.
Ich schlafe mit meinen Kleidern auf dem Bett ein und habe mir weder die Zähne geputzt noch mich unter den Armen gewaschen. Im Traum erscheint mir Mamas missbilligender Engelsblick.
Thingvellir
1
Pechschwarz ragt die senkrechte Lavawand in den Himmel. Die Berggipfel heben sich als spitze Silhouetten von den Wolken ab, die von Westen heranrücken. Aus Erdspalten am Fuß des Berges steigen zischende Säulen unterirdischen Dampfes auf. Felsblöcke formen zerklüftete Monolithe aus Lava. Kalter Nebel bedeckt den See und das sumpfige Gelände wie mit einer Silberdecke. Unmittelbar unterhalb der enormen Verwerfung stehen eine kleine Holzkirche und eine Handvoll dicht zusammengedrängte Häuser, die aussehen, als wollten sie sich gegen die Kälte schützen. Der nordamerikanische und der europäische Kontinent zerren an unterschiedlichen Enden an Island, und in Thingvellir driftet die Insel auseinander.
»So«, sagt Thrainn mit einem nachsichtigen Lächeln. »Und wo ist nun Ihre Schatzkammer?«
Mein Blick schweift entmutigt über die kilometerbreite Grabenbruchzone. Wer einmal in Thingvellir
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