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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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ich sehen uns missmutig an. »Keine Höhle«, stelle ich mit einem Fußtritt gegen einen Lavastein fest.
    »Vielleicht hat Snorri ja eine natürliche Grotte in der Felswand genutzt und sie hinterher unkenntlich gemacht«, sagt Thrainn. »So wie die Ägypter nach einer Grablegung die Eingänge zu den Königsgräbern mit Steinen zugemauert haben.«
    »Glauben Sie nicht, ein Ortskundiger würde bei einer getarnten Naturgrotte stutzig werden?«
    »Welcher Ortskundige? Sehen Sie sich doch mal um! Nennen Sie mir einen verlasseneren und abgelegeneren Ort als diesen hier. Zu Snorris Zeit war es hier vermutlich noch einsamer. Die mächtigsten Isländer trafen sich einmal im Jahr in Thingvellir. Denen wäre es vermutlich nicht einmal ein Schulterzucken wert gewesen, wenn in der Zwischenzeit eine natürliche Grotte von einer Gesteinslawine verschüttet worden wäre.«
    »Aber ist es nicht riskant, hier draußen etwas in einer Höhle zu verstecken?«
    »Im Gegenteil. Thingvellir war so etwas wie ein magischer, heiliger Ort. Für Snorri wird das die logische Wahl gewesen sein.«
    Wir betrachten die Steinhalde am Fuß der Lavawand.
    »Könnte der Eingang der Grotte in einer Schlucht oder Felsspalte unter Bodenniveau verborgen sein?«, fragt Thrainn.
    »Und hinterher mit Steinen zugedeckt worden sein?«
    Unsere Blicke wandern zu der Steinhalde.

3
     
    Zusammen mit den Studenten bewegen wir behutsam Lavamassen zur Seite.
    Eins der ersten Dinge, die wir Archäologen in unserem Studium lernen, ist Geduld. Archäologie ist eine Tätigkeit für geduldige, gründliche und sanftmütige Menschen. Das Studienfach besteht aus wenig Höhepunkten, großen Mengen Erdreich, Lehm und umständlichen Formularen für die Registrierung und Katalogisierung. Und höchstens einmal alle hundert Jahre entdeckt jemand seinen Tutanchamun oder sein Troja.
    Nach einer guten Stunde haben wir etwa einen Meter von der Steinhalde abgetragen. Nichts. Die Steine landen mit einem Knall auf der Erde hinter uns. Neue Stein- und Lavahaufen türmen sich auf. Nach einer Weile bilden wir eine Kette und reichen die Steine von einem zum anderen weiter.
    Auf diese Weise schaffen wir mehrere Tonnen Lavagestein beiseite, als eine junge Studentin, die mir gleich aufgefallen ist, einen Schrei ausstößt. Alle halten mit der Arbeit inne. Ich rutsche fast auf dem Grobsplitt und Geröll aus, als ich zu ihr laufe.
    In die freigelegte Felswand wurde eine rechteckige, etwa zehn Zentimeter tiefe Nische gehauen. Ich wische Erde und Moos weg. Ein Raunen geht durch die Studentenschar.
    Drei Symbole sind in den Felsen geritzt.
    Anch, Ty und Kreuz.

4
     
    Wir gehen mit den Studenten zurück zum Parkplatz und erklären ihnen, dass wir morgen mit der Arbeit fortfahren wollen. Sie protestieren. Sie wollen die Höhle abdecken. Jetzt. Wollen wissen, auf was wir da gestoßen sind. Jetzt, nicht morgen. Ich kann sie verstehen. Aber wir brauchen sie nicht mehr. Ihre Anwesenheit und Neugier würde unsere Arbeit nur verkomplizieren und verzögern. Thrainn sagt, dass wir den Rest des Tages nutzen wollen, um alles auszumessen und die Ausgrabung vorzubereiten. Er strahlt eine professorale Würde aus, die überzeugend und autoritär wirkt. Enttäuscht und widerwillig fahren die Studenten zurück nach Reykjavik. Thrainn und ich bleiben stehen, bis der letzte Minibus am Horizont verschwunden ist. Dann laufen wir zurück, um weiter Steine zu stemmen.
     
    Wir brauchen noch einige Stunden, ehe wir den oberen Teil des Höhleneingangs freigelegt haben. Nach weiteren anderthalb Stunden haben wir so viele Steine weggeräumt, dass die Öffnung groß genug ist.
    Thrainn verankert ein Nylonseil an einem Felsblock, und ich lasse das Tau in die Höhle hinab. Die Hände fest um das Tau gelegt, hangele ich mich durch die Bergspalte nach unten. Meine Füße landen auf dem unebenen Boden der Grotte.
    Die Höhle ist nicht sehr groß. Die Sonne, die durch den Spalt hereinfällt, streift sanft wie ein Flüstern über mich.
    Thrainn seilt sich schneller ab als ich, ich nehme ihn mit beiden Händen in Empfang.
    Wir befinden uns in einem natürlichen Hohlraum in dem Lavaberg. Die Höhle ist vier bis fünf Meter tief und ungefähr drei Meter breit. Wir schalten unsere Stirnlampen ein. Die Lichtkegel irren über die Wände. Thrainn stupst mich an. Vor der Westwand ist eine altarähnliche Konstruktion aus sorgfältig behauenen Lavablöcken errichtet worden. Da der Altar aus dem gleichen Material wie seine Umgebung ist, hebt er

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