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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Kreatur.
    »Ich habe sie nicht!«
    Meine Stimme zittert. Meine Hände zittern. Meine Knie zittern.
    Der andere Mann steht von dem Stuhl auf. Er ist noch größer, als ich gedacht habe. Ein Monolith aus Muskeln. Er winkt mich zu sich. Als ich nah genug bin, packt er mein Hemd und zieht mich dicht vor sich. Er hat Mundgeruch. Zu Mittag muss er etwas Rohes, Blutiges gegessen haben. Ich sehe die Poren in seiner Haut und starre in die unendlichen Abgründe seiner Augen.
    Er packt meine linke Hand und drückt den kleinen Finger hart nach hinten.
    »Wo sind die Schriftrollen?«, fragt der mit der Pistole erneut.
    Vor dem Fenster ragt die Hallgrímskirche mit ihrem überirdischen Glanz in den Himmel. Unten auf der Straße hasten Fußgänger durch den kalten Wind vorbei.
    Er drückt fester zu. Der Schmerz ist unerträglich.
    »Wo?«
    Ich stöhne. Laut und schrill, doch der Muskelberg blickt mir nur ausdruckslos in die Augen und presst meinen Finger noch weiter nach hinten.
    In diesem Moment bin ich bereit, alles preiszugeben und zu gestehen. Wo sich die Rollen befinden und dass ich der Anführer eines satanistischen Zirkels bin, der kleine Kinder opfert. Dass ich Al-Qaida unterstütze und gleichzeitig für CIA, FSB, MI5 und Mossad spioniere. Aber die Schmerzen sind so unbeschreiblich stark, dass ich weder denken noch sprechen kann.
    » Where are the scrolls ?«
    Ich halte mich nicht für sonderlich zerbrechlich, höre dann aber voller Schaudern, wie mein kleiner Finger bricht. Ein klares, helles Knacken, wie wenn man einen trockenen Zweig im Wald zerbricht. Ich schreie. Eine Stichflamme aus Feuer schießt von meinem Finger hinauf in meinen Kopf.
    Er lässt los. Ich packe jammernd meine linke Hand. Mein ganzer Arm steht in Flammen.
    »Es tut mir leid, was mit dem Pastor geschehen ist«, sagt der Mann mit der Pistole. »Aber wir schrecken auch davor nicht zurück« – er sieht mich an, um sich zu vergewissern, dass ich zuhöre -, »Sie zu verstümmeln oder zu töten. Wir wollen die Schriftrollen haben.«
    Der Muskelmann legt eine Bärenpranke um meinen Hals. Mein Adamsapfel hüpft unter seinem Zeigefinger auf und ab. Er drückt nicht zu. Trotzdem erbreche ich mich und ringe nach Atem.
    Wäre das hier ein Film, wäre ich jetzt mit einem Anlauf aus dem Fenster gesprungen. Durch das Glas. Menschen tun alles nur Erdenkliche, um einer lebensgefährlichen Situation zu entrinnen. Aber ich war schon immer ein Feigling. Außerdem hatte ich noch nie ein entspanntes Verhältnis zu Höhe oder Glasscherben. Es liegt mir nicht, mich zu schneiden oder mir Arme und Beine zu brechen.
    Ich habe nicht vor, mein Leben für die Thingvellirrollen zu opfern. In dem Moment, in dem ich verraten will, dass sich die Rollen im Kellergewölbe des Árni-Magnússon-Instituts befinden, fällt mein Blick durch das Fenster auf die Straße.
    Ein Streifenwagen hält auf der anderen Straßenseite vor dem Hotel.
    Die aufkeimende Hoffnung in meinem Blick scheint mich verraten zu haben. Der große Araber dreht sich um und schaut nach draußen. Seine Hände lösen sich von meinem Hals. Keuchend versuche ich, Luft zu bekommen. Der andere tritt ebenfalls ans Fenster und sagt etwas, dass sich wie mokhabarat anhört. Die Antwort des Großen lautet shorta .
    Unten auf der Straße steigen zwei Polizisten aus dem Wagen. Sie lassen sich alle Zeit der Welt.
    Die Araber starren mich wie zwei Hyänen an, denen man ihren Kadaver geraubt hat.
    Ich winsele.
    Blitzschnell fesseln sie meine Hände mit Klebeband ans Bettgestell und kleben mir den Mund zu.
    Dann verschwinden sie.

2
     
    Als die Polizisten endlich mein halb ersticktes Jammern hören und das Hotelzimmer stürmen, sind die Araber längst über die Feuertreppe und den Hinterhof in einer der stillen Querstraßen hinter dem Hotel verschwunden.
    Mir ist schwindelig. Die Polizisten entfernen das Klebeband und helfen mir ins Bett. Die Schmerzen und die Furcht stehen in keinem Verhältnis zu einer lächerlichen Banalität wie einem gebrochenen Finger. Für mich reicht das aber völlig.
    Die Polizisten rufen Verstärkung. Ich höre Polizeiwagen und einen Rettungswagen kommen und unten auf der Straße halten. Kurz darauf wimmelt es im Hotel von Polizeibeamten. Ein junger Arzt im Praktikum hört mich mit einem kalten Stethoskop ab. Mein Herz hämmert schrecklich. Er schient meinen geschwollenen, schmerzenden Finger und verklebt ihn mit dem Ringfinger. Dann bekomme ich eine Armschlinge und ein paar Tabletten gegen die Schmerzen.

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