Der Pakt der Wächter: Roman
Hauptschloss und Sicherheitsschloss. Ich nehme einen Schluck aus der Dose. Das Bier ist inzwischen lauwarm und schal.
Wieder klingelt das Telefon. Es meldet sich niemand. Aber ich höre jemanden atmen. Dann wird die Verbindung unterbrochen.
Irgendwer überprüft, ob ich zu Hause bin.
Ich stopfe das Notwendigste an Kleidern und Waschsachen in eine Tasche und begebe mich so schnell ich kann zu meinem Auto. Es gibt Leute, die würden sich bis zuletzt weigern, Bolla ein Auto zu nennen. Ich hatte nie das Bedürfnis, mit schnittigen Schlitten anzugeben. Bolla ist ein Citroën 2CV, eine Ente. Eine Blechbüchse mit Nähmaschinenmotor. Voller Seele und Charme und synthetischem Öl.
In Bolla flüchte ich aus Grefsen. Ich werde nicht verfolgt. Was gut ist, da ich nicht sehr schnell bin. Aber sie haben mich im Visier und wissen genau, wo ich mich aufhalte. Ich kann sie nicht sehen, aber sie sehen mich. Ganz bestimmt.
3
Der Institutsleiter der Universität, Professor Trygve Arntzen, ist ein unerträglicher Drecksack. Das weiß ich aus Erfahrung, schließlich ist er seit über fünfundzwanzig Jahren mein Stiefvater.
Als Mama starb, rissen auch die letzten brüchigen Bande aus angestrengter Höflichkeit und künstlicher Toleranz zwischen uns.
Der Professor hatte Mama übernommen, hübsch gebraucht, als Papa von einem Felsvorsprung stürzte, auf den der Professor unbedingt mit ihm zusammen steigen wollte. Damals war ich zwölf Jahre alt. Wenn ich auch sonst nichts daraus gelernt habe, so doch, dass es lebensgefährlich ist, die Schwerkraft herauszufordern. Einige Jahre später erfuhr ich, dass Papa versucht hatte, den Professor umzubringen. Weil er ein Verhältnis mit Mama hatte. Stattdessen war Papa am Ende das Opfer. Wie sagte Sira Magnus doch so richtig: Shit happens .
Ich kenne die Macken des Professors. Zum Beispiel, dass er gern früh zur Arbeit geht. Weil er so viel erledigt kriegt, bis die anderen allmählich wach werden. Ich habe die Nacht im Auto verbracht. In einem Parkhaus. Unter einer Überwachungskamera.
Der Professor ist in seinem Zimmer, als ich anklopfe. Sein Gesichtsausdruck verwandelt sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Bjørn? Ich dachte, du wärst auf Island?«
»Richtig, war ich auch.«
Pflichtschuldig berichte ich von den Höhepunkten der Reise, von denen er natürlich schon längst gehört hat. Alles, was auch nur andeutungsweise als Verstoß gegen irgendwelche Vorschriften verstanden werden könnte, verschweige ich. Professor Arntzen ist ein Vorschriftenreiter vor dem Herrn. Und es gelingt mir tatsächlich, seine Neugier so weit zu wecken, dass er mich bis auf Weiteres an meinem »Projekt« weiterarbeiten lässt. Er mustert mich abwesend und fordert mich auf, ihm in regelmäßigen Abständen Zwischenberichte zu liefern. Damit er weiß, wie ich mit meiner Arbeit vorankomme.
Ja, sicher.
4
Cicero hat gesagt, die Einsamkeit sei für denjenigen, der in seine Studien vertieft ist, keine Bürde. Ich bin immer in meine Studien vertieft. Was nicht heißt, dass meine Sehnsüchte leichter zu ertragen wären. Es macht es nur leichter, sie zu verdrängen.
Ich habe die Tür zu meinem winzigen Universitätsbüro geschlossen, in dem ich eingeklemmt zwischen überbordenden Archivschränken und Regalen voller Wissen sitze. Ich drehe einen Bleistift zwischen den Fingern und starre abwechselnd aus dem Fenster und auf den Computerbildschirm. Ich versuche zu begreifen, was Sira Magnus wusste und begriffen hat und was er von den angeblichen Wissenschaftlern befürchtete. Wusste er, dass sie nichts mit dem Schimmer-Institut zu tun hatten? Was hat ihn dazu veranlasst, den Snorri-Codex Seite für Seite einzuscannen und einen Runencode zu verfassen, um mich zu den Seiten zu führen?
Ich habe den Codex auf teurem Druckerpapier ausgedruckt. Zwischen den gleichmäßigen Zeilen aus Runen und lateinischen Schriftzeichen, Symbolen und Karten scheinen sich noch andere Botschaften und Leitfäden zu verstecken. Ein Teil des Textes ist verschlüsselt, aber viele Abschnitte sind lesbar.
Was für ein Geheimnis hat Snorri dazu veranlasst, diesen Text für seine Nachwelt zu hinterlassen?
Die ersten drei mit Runen beschriebenen Seiten sind auf dunklerem und älterem Pergament geschrieben als der Rest. Die Runen waren die Schriftzeichen der Germanen, die sich im ersten Jahrtausend nach Christus im gesamten nördlichen Europa verbreiteten und weiterentwickelten. Mit dem Christentum wurden die Runen nach und nach
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