erkundigen, ob es etwas Neues gibt. Gibt es. Von einer Überwachungskamera einer Tankstelle in Saurbær sind Aufnahmen von den Tatverdächtigen gekommen. Die Bilder werden gerade an Interpol weitergeleitet. Die norwegische Polizei hat eine Kopie bekommen. Aber die Araber sind wie von Treibsand verschluckt, sagt er mit einem Lachen. Dann wird er wieder ernst und weiht mich gerade so oberflächlich in den Stand der Ermittlungen ein, dass ich mich informiert fühlen kann, ohne das Geringste erfahren zu haben.
Unmittelbar nachdem ich aufgelegt habe, ruft Ragnhild von der Osloer Polizei an. Sie hat soeben die Bilder aus Island erhalten und bittet mich, die Tatverdächtigen zu identifizieren. Sie hat mir die Bilder per E-Mail geschickt und wartet am Telefon, während ich die Mail und den Anhang öffne.
Die Aufnahmen der Überwachungskamera sind schwarzweiß, aber scharf und gut zu erkennen.
Ich erkenne auf dem Bild die zwei Männer wieder, die mir in meinem Hotelzimmer in Reykjavik einen Besuch abgestattet haben. Der kleine, abstoßende Kerl. Und der brutale Brocken, der mir den Finger gebrochen hat.
»Das sind sie«, sage ich.
»Wir werden sie fassen. Immerhin haben wir jetzt etwas in der Hand und ein konkretes Bild, von dem wir ausgehen können.«
Ich bitte sie, einen Augenblick zu warten. Unter ihrer E-Mail ist noch eine andere, die ich noch nicht geöffnet habe:
Von:
Datum:
An: [email protected]
Kopie:
Betreff: Bjørn Beltø – Unbedingt lesen!
Sehr geehrter Bjørn Beltø,
Sie wissen nicht, wer ich bin. Aber ich »kenne« Sie. Es tut mir leid, dass meine Mitarbeiter Ihnen Schmerzen zugefügt haben. Sie wurden von mir beauftragt, einen Job zu erledigen, und ich kann sie nicht überall kontrollieren und lenken.
Auf Island kam Ihr Freund Sira Magnus in den Besitz eines Codex, der sich jetzt in den Händen meiner Männer befindet. Aber es ist Ihnen gelungen, eine Kopie des Manuskriptes aufzuspüren, von den Medien in ihrer grenzenlosen Fantasielosigkeit Thingvellirrollen getauft.
Ich bin bereit, weit zu gehen – sehr weit -, um dieses Manuskript in meinen Besitz zu bringen. Entweder befindet es sich noch auf Island, möglicherweise aber auch in Ihrem Besitz in Norwegen.
Ich möchte Ihnen ungerne drohen, aber Sie zwingen mich, Methoden anzuwenden, die ich lieber vermieden hätte.
Ich bitte Sie: Überlassen Sie die Thingvellirrollen meinen Männern. Ihre Kooperationsbereitschaft wird reich belohnt werden. Mit »reich« meine ich mehr Geld, als Sie sich vorstellen können. Damit könnten Sie den Rest Ihres Lebens in sorgenfreiem Luxus verbringen.
Sollten Sie sich entscheiden, sich mir zu widersetzen, liegt Ihr Schicksal nicht mehr in meiner Hand. Meine Männer haben klare Anweisungen und die uneingeschränkte Vollmacht, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen.
Der Speichel, den ich herunterschlucke, ist mit Sand und Spachtelmasse angedickt.
Ich habe in meinem Leben noch nicht sehr viele Drohbriefe bekommen. Dieser hier ist sozusagen der erste.
Mit abgehackter, leicht panischer Stimme lese ich Ragnhild den Brief vor. Sie fordert mich auf, zwei Dinge zu tun: den Brief auszudrucken und die Mail an sie weiterzuleiten.
Ich drücke auf den Button für Ausdrucken. Nichts tut sich. Irritiert klicke ich auf die linke Maustaste. Mehrmals.
Nichts.
Als ich die E-Mail weiterleiten will, fängt der Bildschirm an zu flimmern, und der Text löst sich vor meinen Augen auf, als würden die Pixel in völligem Chaos davonsausen.
Gleich darauf ist von der E-Mail nichts mehr übrig.
»Weg«, sage ich.
»Das ist doch nicht möglich.«
Ich sehe in der Eingangsbox von Outlook nach. Dort liegt die E-Mail nach wie vor an zweiter Stelle. Ich klicke sie an. Worauf die ganze Zeile verschwindet.
»Sehen Sie im Papierkorb nach.«
Nichts.
Sie erklärt mir, dass das, was ich eben beschrieben habe, technisch unmöglich sei. Eine E-Mail könne nicht einfach so vom Empfangsgerät verschwinden. Es sei denn, es handele sich um einen Anhang mit einem eigenen Programm, der vom Antivirusprogramm abgefangen werde.
»War es ein exe-Anhang?«
»Das war eine ganz normale E-Mail.«
»Irgendwer muss sich in Ihren Computer eingehackt und ein Spionprogramm installiert haben.
»Sie meinen, die waren hier? Hier ?«
»Wenn sie im Besitz eines Programms sind, das Outlook-Mails dazu veranlasst, sich aufzulösen, scheinen sie über ziemlich fortschrittliche