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Der Pakt der Wächter: Roman

Der Pakt der Wächter: Roman

Titel: Der Pakt der Wächter: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Sockel. Die Steinplatte, die den Sarg verschließt, ist mit Runen beschriftet: HIR: HUILIR:SIRA:RUTOLFR

     
    Hier ruht Sira Rudolf , übersetze ich im Kopf.
    Zuunterst auf dem Deckel steht: RUTOLFR:BISKUB:
     
    »Bischof Rudolf.« Ich flüstere, als wolle ich die Ruhe der Toten nicht stören. »Einer der Bischöfe, die König Olav vor der Christianisierung von England nach Norwegen begleitet haben.«
    »Dann ist das nicht Olav der Heilige?«
    »Nein.«
    Die Entdeckung und der prachtvolle Anblick sind zu überwältigend, um Enttäuschung aufkommen zu lassen. Trotzdem hätte ich mir natürlich gewünscht, der Olavsschrein stünde auf dem Sockel und nicht ein einfacher Steinsarg.
    Øyvind und ich packen die Steinplatte, die auf dem Sarg liegt, und schieben sie vorsichtig zur Seite.
    Das Skelett trägt eine rote Bischofssoutane mit brüchigem Hermelinkragen. Die Fingerknochen krümmen sich um einen Bischofsstab. Der Schädel liegt zur Seite geneigt in einer Mitra, der länglichen, spitzen Kopfbedeckung der Bischöfe.
    Bischof Rudolf …
    Vollkommen unvorbereitet steigen mir Tränen in die Augen.
    »Bjørn?« Øyvind zupft mich am Ärmel.
    Mit dem Licht der Stirnlampe deutet er auf die Wand links von uns. Zuerst sehe ich nur Licht, das sich spiegelt, dann erkenne ich vier Keramikgefäße.
    »O mein Gott«, flüstert Øyvind.
    Jedes der Gefäße quillt über von Schmuck und ägyptischen Figuren aus Gold und Alabaster. Katzen, Amulette, Skarabäen, der Schakalgott Anubis, Fabeltiere, Kobras … Das Licht der Stirnlampen spiegelt sich in roten Edelsteinen. Øyvind nimmt eine Horusfigur mit Vogelkopf.
    »Lass sie liegen«, sage ich. »Wir müssen so viel wie möglich unberührt lassen, bevor unsere Kollegen kommen, um das alles zu untersuchen.«
    »Ach was?«, erwidert er mit einem Lachen.
    Der Dreck an den Wänden verbirgt unzählige Inschriften, Runenzeichen und ägyptische Hieroglyphen. Das Grabmal ist mit einem Sammelsurium nordischer Runen und altägyptischer Zeichen verziert. Lange laufen wir in dem dunklen Raum herum und betrachten die Inschriften an den Wänden.
    Am Fußende des Sockels entdecke ich eine eingelassene Marmorplatte, die über und über mit Zeichen bedeckt ist.
    Das ist ein Runenstein.
    Mithilfe eines Messers löse ich die Platte von dem Sockel und bürste den Dreck ab. Dann lege ich sie behutsam auf den Boden. Die Ränder des Runensteins sind mit Edelsteinen besetzt.
    Zuoberst stehen drei Symbole.
    »Anch, Ty und Kreuz«, murmelt Øyvind.
    Ich richte den Lichtstrahl auf die Zeichen und übersetze aus dem Altnordischen:
    Geheiligt du seiest, Sankt Olav, unser König gut
    Endlich ein Text, den man lesen kann.
    »Den nehme ich mit!«
    Da mir der Lichtstrahl direkt ins Gesicht fällt, weiß ich, dass Øyvind mich ansieht.
    »Wir müssen melden, was wir gefunden haben«, sagt er schließlich.
    »Natürlich. Aber wir brauchen den Runenstein ja nicht zu erwähnen.«
    »Früher oder später werden sie bemerken, dass er fehlt.«
    »Natürlich gebe ich ihn wieder zurück. Wenn ich damit fertig bin. Vielleicht glauben sie ja, dass hier Grabräuber ihr Unwesen getrieben haben.«
    »Das stimmt ja auch.«

Zwischenspiel
     

     
    Bårds Geschichte (I)
     
    Sie zertrampelten die heiligen Stätten mit unreinen
Füßen, gruben den Altar aus und raubten alle
Schätze aus der heiligen Kirche. Einige Bauern
haben sie getötet, andere in Ketten gelegt und
mit sich genommen.
    ALCUIN
ÜBER DEN ÜBERFALL DER WIKINGER
AUF DAS LINDISFARNEKLOSTER
     
     
     
Die Wilden kamen im Morgengrauen,
als Amon-Ras Odem den Himmel rot färbte.
Ich […] starrte auf die fremdartigen Schiffe,
die flussauf gesegelt kamen: lange, schmale Schiffe mit
gewaltigen Segeln und geifernden Drachenköpfen.
    ASIM ÄGYPTISCHER HOHEPRIESTER DES AMON-RA-KULTES
     
    Nachts, auf der harten Pritsche seiner Klosterzelle, träumte er oft von seinen jungen Jahren, in denen er mit König Olav auf Wikingerfahrt gegangen war. Im Halbschlaf wickelte er sich fester in die klammen Filzdecken, während seine Erinnerungen zu Bildern, Gerüchen und Geräuschen wurden, die das kühle Halbdunkel in der Zelle füllten. Manchmal, wenn er nicht schlafen konnte, schleppte er sich an die Fensterscharte und lauschte dem Atem und der Brandung des Meeres, die gegen die Felsen klatschte. Fröstelnd und fast blind stand er im Windzug und sehnte sich nach seinem früheren Leben. So geschwächt war seine Sehkraft, dass er nicht einmal die Augen zu schließen brauchte, um die

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