Der Pakt des Seelensammlers (German Edition)
Jack, du musst dir nichts vormachen. Zuerst waren sie kalt, dann haben sie gebrannt, dann waren sie tot.
Er ignorierte den Schmerz so gut es ging mit zusammengebissenen Zähnen. Es gab wichtigeres, gerade heute Morgen. Wenn es ihnen nicht gelang, sich zu verteidigen, dann würden sämtliche Schmerzen nebensächlich sein. Jack sagte sich dies immer wieder, wie ein Mantra. Vielleicht half es ihm auch, nicht verrückt zu werden. Er blickte den Flur der Hausmeisterwohnung hinab und fragte sich, was der Tag wohl bringen würde.
Keine Minute zu spät klopfte es an der Tür.
»Ich würde ja Guten Morgen sagen«, meinte John, als Jack ihm die Tür öffnete, »aber nichts an diesem Morgen ist gut.« Ihm folgte Miranda, die ihn aus dunklen, tief liegenden Augen ansah. Sie hatte nicht viel Schlaf bekommen, das konnte Jack erkennen. Am Schluss trat Bradley herein, und Jack stellte mit Genugtuung fest, dass er sich das Jagdgewehr über die Schulter gehängt hatte.
»Da sind wir also«, sagte John.
»Was ist mit Richter?«
»Ich weiß es nicht. Aber vielleicht sollten wir nicht auf ihn warten.«
»Doch«, sagte Jack. »Wir brauchen ihn.« Er ging zur Tür und blickte den Hotelflur hinab, der weiterhin zu großen Teilen im Dunkel lag. Nur dort, wo die Fenster in die Wand eingelassen waren, malten sich helle Lichtflecken an die Wände und die schweren, herabhängenden Brokatvorhänge. Es gab keinen vernünftigen Grund, dass Richter ihrem Treffen fernblieb, er selbst hatte vorgeschlagen, dass sie den nächsten Morgen abwarteten.
Jack runzelte die Stirn. Es gab noch so viel, über das sie im Unklaren waren. War es möglich, dass die Weißen die Menschen im Hotel auf irgendeine Weise beeinflussen konnten?
Gänsehaut kroch seine Arme hinauf.
Verdammt, das wäre nicht gut.
Gerade als Jack sich abwenden wollte, hörte er die schweren Tritte auf dem obersten Treppenabsatz, und drehte sich wieder um. Es war Richter, ja, aber ... er sah schrecklich aus.
»Kommen Sie, Erik. Die anderen sind bereits da.«
»Carver.« Die Stimme des Polizisten war brüchig. Jack sah, dass er seine Waffe dicht bei sich am Gürtel hängen hatte. Er folgte ihm und schloss die Tür.
»Sie sehen nicht gut aus, Mr. Richter«, stellte John fest. Hier, im hellen Licht der Hausmeisterwohnung, war dies noch wesentlich deutlicher. Die dunkeln Ringe, seine blasse Haut und die tiefen Furchen, die Richters Gesicht durchzogen, verliehen ihm ein gespenstisches Aussehen.
»Ich habe kaum geschlafen«, murmelte Richter. »Die Nacht war höllisch.«
Jack nickte. Er wusste aber, dass keine Nacht so höllisch gewesen konnte, wie seine eigene. Der Kampf gegen den Eindringling steckte noch immer tief in ihm, das Bild der gebogenen Klauen grub an seinem Verstand, auch jetzt, wenn er wach war. Noch immer zitterten seine Hände, wenn er zu dem Fenster hinübersah, im Rahmen festgefroren und mit einer dicken Eisschicht überzogen, eine exakte Kopie des Fensters unten in der Küche. Das Eis war der Verbündete der Weißen, es gehorchte ihnen. Es gab keine andere Erklärung.
»Wir sind also hier«, sagte er, »und sind einig darüber, dass die anderen gewarnt und einbezogen werden müssen. Richtig?«
»Ja.« Bradley war der erste, der ihm antwortete. Er schien genug Schlaf bekommen zu haben. Jack beschloss für einen winzigen Augenblick, ihn zu fragen, wie er das machte, als ihm klar wurde, dass auch der beste Trick, die stärkste Schlaftablette, nicht den Blick der eisblauen Augen aus seinem Verstand treiben konnten. Es gab keine Lösung.
»Absolut«, sagte John. »Und wir sollten es jetzt tun.«
»Ich bin auch dafür. Aber wir sollten vielleicht klären, was wir ihnen sagen. Wie wir es ihnen sagen.« Miranda warf Jack ein halbherziges Lächeln zu, aber er konnte spüren, dass auch sie kurz davor stand, den Verstand zu verlieren.
»Und ich bin weiterhin dafür, dass wir es anders machen«, sagte Richter. »Ich habe mir die ganze Nacht mit Nachdenken um die Ohren geschlagen. Aber ich glaube, es gibt eine Lösung.«
Jack drehte sich zu ihm. Was meinte er?
»Lasst uns nach unten gehen. Ich will vor allen sprechen«, sagte Richter. »Es ist besser, denke ich.«
Jack sah, dass die anderen zustimmten. Spürten sie nicht, was er fühlte? Richter lief voraus, sodass er sein Gesicht und den Ausdruck in seinen Augen nicht mehr sehen konnte, aber da war etwas gewesen, etwas, das Jack Unbehagen bereitete ...
Aber es gab keinen Grund, Richter nicht vor allen sprechen zu lassen.
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