Der Pakt - Rügen Thriller
Brust des Mannes mühelos lesen konnten. »Ich bin mit dem Chef verabredet.«
»Natürlich. Sie kennen ja den Weg. Ach«, Lösch schlug verlegen die Augen nieder, »mein aufrichtiges Beileid, Herr Gruber.«
»Danke.« Gruber nickte düster, wie ein Mann, der die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern trug. »Als ich im Fernsehen gehört habe, dass die Frau, die hier bei Ihnen war, vielleicht auch für Kerstins Tod …« Seine Stimme wurde brüchig. »Ich konnte einfach nicht mehr zu Hause herumsitzen.«
»Ich verstehe Sie«, sagte Herr Lösch mitfühlend. »Hoffentlich wird sie bald geschnappt. Das Miststück hat mir fast den Kehlkopf zerschmettert.«
Sie unterhielten sich noch einen Moment über die Ereignisse vom Mittag, dann ging Gruber weiter. Genau wie Juli wenige Stunden zuvor entschied auch er sich für die Treppe. Im oberen Stockwerk ging er zielstrebig nach links. Am Ende des Ganges lag das Büro von Hans Bartel. Im Laufen sah Gruber sich um. Niemand zu sehen. Blitzschnell trat er vor die gegenüberliegende Tür, neben der auf einem Messingschild »Viktor Reznik« stand, öffnete sie und trat ein.
Der Abgeordnete blickte sich um. Der Raum sah genauso aus, wie er ihn in Erinnerung hatte. Groß und ziemlich schlicht, mit einer dunklen Ledercouch und einem wuchtigen Schreibtisch. Auf einem Sideboard stand ein Fernseher. Die Wände waren in einem warmen Gelbton gestrichen, der in einem auffälligen Kontrast zu der maus grauen Auslegware stand. Neben dem Schreibtisch hing ein Gemälde von Iwan Schischkin.
Gruber nahm es vorsichtig ab.
Dahinter kam ein in die Wand eingelassener Safe mit elektronischem Schloss zum Vorschein. Gruber gab auf dem Ziffernfeld Rezniks Geburtstag in umgekehrter Reihenfolge ein. Als rechts oben eine grüne LED-Anzeige aufleuchtete, drehte er den stählernen Klappgriff nach links und öffnete den Safe. Im obersten Fach lag eine Plastiktüte mit Zip-Verschluss, in der sich eine kleine, fast unscheinbare Pistole mit einem Schalldämpfer befand. Gruber nahm die Tüte heraus und betrachtete die Waffe nachdenklich. Das also war der Preis, den er für drei Menschenleben bezahlt musste.
Gruber stellte seinen Aktenkoffer auf den Tisch, öffnete ihn und ließ die Pistole darin verschwinden. Im unteren Fach des Safes lagen mehrere Hefter und einige einzelne Blätter, die er ebenfalls einpackte. Er wusste nicht, worum es sich handelte, aber weshalb ein Risiko eingehen? Reznik würde dieses Büro vermutlich nie wieder betreten, und je weniger brisante Dinge hier einmal gefunden würden, desto besser.
Er verschloss den Safe, wischte ihn mit einem Taschentuch ab und hängte das Bild wieder davor. Danach fuhr er mit dem Tuch auch noch über den dunklen Holzrahmen. Geschafft!
Jetzt würde er einen kurzen Besuch bei Hans Bartel absolvieren und anschließend umgehend wieder verschwinden. Doch gerade als er die Tür öffnen wollte, hörte er draußen auf dem Gang eilige Schritte.
»Das hier ist Rezniks Büro«, ertönte eine Frauenstimme. »Das nehmen wir uns als Erstes vor.«
Axel Gruber wurde kalkweiß.
59
Juli hatte heiß geduscht und lag jetzt wieder auf dem Bett, in einen weißen Bademantel gehüllt und mit einem Glas Wein in der Hand. Sie zappte durch die verschiedenen Fernsehkanäle. Der NDR berichtete in einer Sondersendung über den Polizistenmord in Stralsund. Juli erschrak, als auf dem Bildschirm eine Phantomzeichnung erschien, die eine bestürzende Ähnlichkeit mit ihr aufwies.
»… geht die Polizei davon aus, dass diese Frau auch für die Morde im Hotel Windwood in Binz verantwortlich ist …«
Routiniert fasste der Nachrichtensprecher die Ereignisse im Ostseebad zusammen. Dazu wurden Fotos eingeblendet.
Wladimir Kirijenko, 56 Jahre.
Tino Rücker, 39 Jahre.
Kerstin Gruber, 49 Jahre.
Juli gab sich keinen Illusionen hin. Ja, sie wusste, dass diese drei Menschen die Kinder, Geschwister oder Eltern anderer Menschen waren. Aber das galt für all jene, die tagtäglich in Jerusalem, Bagdad oder Mogadischu ums Leben kamen, schließlich auch. Und vielleicht hatten diese drei sogar Schuld auf sich geladen, echte Schuld, so wie Bernhard Lieber. Ihn zu erledigen, hatte ihr ein Gefühl von echter Befriedigung verschafft. Noch viel wichtiger aber war für sie eine Erkenntnis, die sie bei dieser ersten Operation gewonnen hatte. Die Erkenntnis nämlich, dass sie eine Jägerin war.
Gespürt hatte sie es schon damals, in Marseille, als sie damit begonnen hatte, sich an all den
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