Der Paladin
allgemeine Lage bestand schon zu lange, um darüber zu klatschen, die aktuellen Details waren zu verwickelt, um bei jemandem, der einen allgemeinen Alarm auslösen konnte, blindlings danach zu bohren – aus diesem Grund hatte er es aufgegeben, Neues in Erfahrung bringen zu wollen, und war um den heißen Brei herumgeschlichen.
Darum war er ganz schnell wieder auf den Fisch zurückgekommen und hatte versucht, nichts zu sagen und möglichst viel aus Andeutungen zu erraten.
Was Saukendar betraf: ja, die Söldner nördlich des Flusses wußten, daß er unterwegs war.
Was den Aufruhr im Süden und die Möglichkeit anging, er könnte ins Chaos abgleiten: dies beunruhigte sie, und es fiel ihnen leicht, daran zu glauben.
Was den Söldnertrupp anging, der ohne seinen Hauptmann nach Norden unterwegs war; alles, was er behauptet hatte, nämlich einem Nachtangriff entgangen und nach Norden gekommen zu sein, um Bericht zu erstatten, war ihnen glaubhaft vorgekommen. Den Göttern sei Dank.
Zwei von sieben Tagen waren um. Und er war Lungan noch nicht so nahe gekommen, wie er es sich gewünscht hätte.
Nichts war so weit gediehen, wie er es sich gewünscht hätte. Er hatte einen der Vögel mitnehmen wollen. Wenn ihm eine Erklärung dafür eingefallen wäre, warum ein Trupp gewöhnlicher Soldaten einen Taubenkäfig mitschleppen sollte, dann hätte er es getan. Doch es konnte zuviel schiefgehen dabei, das Risiko war zu groß, daß ein solcher Vogel entkam oder mit der falschen Botschaft freigelassen wurde. Darum die simple Vereinbarung mit Reidi und ein Zeitplan, der eingehalten werden mußte.
Stoßt nicht blindlings nach Lungan vor, hatte er gesagt. Stellt euch darauf ein, zu improvisieren. Haltet euch nicht auf Biegen und Brechen an eure Anweisungen.
Er vertraute darauf, daß ein Mann, der im Lauf der Jahre schon so vieles bewerkstelligt hatte, über die geistigen Fähigkeiten verfügte, in einer Krise zu improvisieren: er vertraute dem Mann vollkommen, er hoffte, daß Reidis körperlichen Kräfte der Belastung standhalten würden, er hoffte, daß Reidi die moralische Kraft besaß, sich gegenüber Narren wie Kegi und Meijun zu behaupten. Das waren große Hoffnungen, die er in einen alten und bislang seßhaften Herrn setzte, und einen wirren, närrischen Augenblick lang hatte er sogar überlegt, ob Taizu als Befehlshaber zu dieser Art Urteilskraft fähig wäre – es mangelte ihm an Talenten, und sie hatte das, worauf es ankam, dachte er, sie besaß die nötige Vorstellungskraft und das Gespür, um in jeder Lage, von der Taktik auf dem Schlachtfeld einmal abgesehen, die richtige Entscheidung zu treffen, wenn sie nur über die nötige Lebenserfahrung verfügt hätte, um Feigheit und Gier und das Haschen nach Ruhm bei sich zu erkennen.
Sie lernte schnell. Er hatte das Glitzern in ihren Augen gesehen, er hatte gesehen, wie sie bei Beratungen lauschte, mit zusammengepreßten Lippen und stumm, er hatte die winzigen Regungen in ihrem Gesicht bemerkt, wenn jemand in ihrer kleinen Runde einen Vorschlag machte, den er selbst zurückweisen mußte –
sie
wußte Bescheid.
Ganz ausgezeichnet, Mädchen. Bis jetzt lief alles ganz ausgezeichnet.
Ich sollte sie jetzt gehenlassen.
Dann wurde ihm klar, daß er ans Sterben dachte.
Plant Euren Rückzug, Meister Shoka...
Er spürte den Schmerz in seinem Bein, den alten Schmerz, der ihn während des langen Ritts nie ganz verlassen hatte. Er erinnerte sich ans Holzhacken, an Taizus skeptischen Blick. An diesen Blick dachte er, als die Fähre ans Ufer stieß und der Offizier der diesseitigen Wache herbeikam und sich nach ihren Namen und ihrem Anliegen erkundigte. Sein Herzschlag beschleunigte sich daraufhin; und er konzentrierte sich darauf, ein Sengi zu sein, ein Söldner aus Aghis Schar, der eine elfenbeinerne Kurierspange trug und der dem ganzen Ärger vorausgeeilt war. »Ich sollte Bericht erstatten«, sagte er zum Wachoffizier; und dann, indem er es darauf ankommen ließ: »Es hieß, ich sollte besser mit den hohen Tieren sprechen, wenn wir was wissen, dann werden sie's hören wollen. Wo sollen wir hin?«
»Die sind alle in Lungan«, sagte der Wachoffizier. »Alle sind sie dort.«
»Irgendwo wollen
die
hin«, murmelte Shoka und verstaute die Spange wieder in seiner Gürteltasche. »Schnell. Sie reiten geradewegs nach Norden, haben von Westen her Verstärkung bekommen. Eine ganze Menge. Waren wahrscheinlich von Anfang an dabei, und es sind einfach zu viele, überrennen alles. Dort unten
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