Der Paladin
Schlimmeres war, nach allem, was sie wollte, etwas Unmögliches von ihr verlangt und sie so weit getrieben hatte, so daß sie nun im Recht und er offensichtlich der Schurke war.
Verdammt. Und er hatte sein Wort auf den Ausgang verpfändet.
»Also gut«, sagte er schließlich von Jiros Rücken hinab. »Ich werde dich so weit unterrichten, wie du zu folgen vermagst. Aber wenn du versagst, dann hast du versagt, und ich will keine Ausflüchte hören.«
Sie versuchte sich aufzurichten. Sie zog sich an den Planken hoch und lehnte sich darüber.
»Du wirst Krämpfe bekommen, wenn du dich nicht langsam abkühlst«, sagte er. »Geh zum Haus, zieh dir was an, ich setze Wasser auf.«
Sie nickte, nur diese eine Bewegung des Kopfes, mehr nicht, dann kletterte sie unbeholfen durch den Zaun und taumelte über den Pferch.
Verdammt, verdammt, verdammt.
Doch er ertappte sich bei dem Gedanken, daß sie es als Schülerin tatsächlich schaffen könnte. Sie war schnell und stark genug, um weit mehr zu lernen, als er gedacht hatte; und vielleicht – hoffentlich – würde sie in der Zwischenzeit wieder Vernunft annehmen.
4
Er schlief nicht gut in dieser Nacht. Ohne den Grund zu wissen, mußte er ständig an Chiyaden denken.
Vielleicht, dachte er, lag es daran, daß er sich Gedanken übers Unterrichten machte; und um zu unterrichten, mußte er sich daran erinnern, wie er unterrichtet worden war und was er gelernt hatte; und gelernt hatte er in Chiyaden, in seiner Jugend, von seinem Vater und einem alten Meister aus Yenan, am Hof von Cheng'di.
Viele dieser Erinnerungen waren nicht angenehm, zumal er wußte, was aus den Plänen seines Vaters geworden war. Sein Vater hatte ihm vor seinem Tod befohlen, dem alten Kaiser während seiner letzten Jahre zu dienen – und an seines Vaters Stelle hatte er es versucht, ernsthaft versucht, er hatte jedes persönliche Opfer gebracht, er hatte den alten Kaiser vor Attentätern geschützt, hatte alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um das Reich und den Frieden zu erhalten. Doch seine Kampfeskraft hatte nichts gefruchtet angesichts der Willfährigkeit eines Thronfolgers, der an der Exekution seiner bestellten Beschützer beteiligt gewesen war und der sich mit aller Kraft bemüht hatte, Saukendar ebenfalls in Ungnade fallen zu lassen.
Keine noch so große Klugheit hätte Chiyaden retten können, es blieb nur der Wunsch, der Kaiser hätte einen besseren Sohn großgezogen; der Wunsch, der alte Kaiser hätte Beijun mehr beigebracht und ihn in seiner Jugend weniger gehätschelt, ihn mit starker Hand von seinem schlechten Umgang getrennt... Weiß der Himmel, was geholfen hätte; Shoka hatte dem alten Kaiser bezüglich seines Erben und dessen Gefährten raten wollen, und davor hatte sein Vater dem Kaiser schon den gleichen Rat gegeben, alles umsonst. Mit dem Alter wird er sich ändern, hatte der alte Kaiser über seinen Sohn gesagt. Die Verantwortung wird ihn verändern. Laßt ihm Zeit.
In seinen Alpträumen sah er seinen Freund Heisu unter der Axt; und die empfindsame Hofdame, die der junge Kaiser geheiratet hatte...
...die
er
hätte heiraten sollen, wenn der Kaiser nicht Meiya für seinen Sohn bestimmt hätte...
...und wie Meiya mit dem Giftbecher in der Hand am Gartenfenster saß, zerbrechlich wie Porzellan, elegant wie eh und je.
Vielleicht hatte Meiya bis zuletzt gehofft, daß er noch rechtzeitig eintreffen, daß er sich den Weg freikämpfen und sie retten werde. Aber niemand hatte ihm etwas gesagt: Der Befehl wurde vom Kaiser unterschrieben und versiegelt, und die Mörder waren schon unterwegs, als sie den Becher ausgetrunken hatte, während er zwei Tagesreisen von der Hauptstadt entfernt auf einer sinnlosen Mission gewesen war, mit der ihn der junge Kaiser betraut hatte.
Das konnte unmöglich der Plan des jungen Kaisers gewesen sein. Zweifellos war es Ghitas Plan gewesen; Shoka hatte neun Jahre lang mit dieser unbeglichenen Rechnung leben müssen, mit der Tatsache, daß er zum Narren gehalten worden war, denn wenn Meiya Ehebruch begangen hätte...
...und sei es bloß im Herzen...
Er ballte die Fäuste, wälzte sich auf seiner Matte herum und starrte in die Dunkelheit, in der Meiyas sanfte Erscheinung weniger greifbar schien als in seiner Erinnerung.
Du trägst Verantwortung, hatte ihn sein Vater ermahnt, als der alte Kaiser seine Wünsche hinsichtlich der Vermählung seines Sohnes mit Meiya kundgetan hatte; das Wohlergehen des Reiches steht an erster Stelle. Denk an deinen
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