Der Paladin
Reaktion auf diesen Angriff. Der Stock traf ihre Beine. Sie fing sich jedoch wieder und landete auf dem Boden.
»Nein«, sagte er, stützte sich mit beiden Händen auf den Stock und sann über sie nach, über ihre Reichweite, ihren Gleichgewichtssinn.
Er hatte nur einen einzigen Schüler gehabt – und Beijun hatte sich vor seinen Übungen gedrückt, hatte gejammert, wenn er hinfiel, hatte sich über den Schweiß und die Erschöpfung beklagt.
Ein Rinnsal aus Schweiß lief über Taizus Gesicht. Sie ließ ihre Deckung nicht fallen. Sie wartete.
»Nun weißt du alles, was du ohne Schwert lernen konntest«, sagte er. »Für diese Bewegungen brauchst du nun ein Gegengewicht. Das Schwert gehört nun her. Das Schwert bildet den entscheidenden Gegenpol für dein Gleichgewicht.«
Ohne ein weiteres Wort, ging er ins Haus, holte das in Lumpen gewickelte Schwert aus seinem Winkel und brachte es Taizu, die noch immer wartend vor der Veranda stand.
Er zog es heraus und warf die Scheide auf die Veranda. »Pause«, sagte er.
Sie gab die Deckung auf, vorsichtig, auf der Hut.
»Ist schon gut«, sagte er und reichte ihr das Schwert mit dem Griff voran. »Nimm wieder die Grundstellung ein. Halte das Schwert entspannt, so entspannt wie möglich. Ich lasse dich nur einen Teil des Gewichts halten. Entspann die Finger, hörst du?«
Sie nickte, nahm die Grundstellung ein, das Gesicht angespannt und aufmerksam, jedoch ohne danach zu greifen: sie hielt das Schwert genau so, wie es bequem war.
»So ist's richtig. Das war die eine Hand. Jetzt die andere.«
In dieser Stellung gab es nur eine bequeme Haltung. Sie fand sie.
»Genau so«, sagte er und verspürte eine Genugtuung, wie sie ihm der junge Kaiser niemals vermittelt hatte, eine fast sinnliche Erregung. »Tadellos.«
Sie hatte es gehört. Sie vollführte ein winziges Nicken mit dem Kopf. Ihre Haltung veränderte sich dabei nicht.
»Das ist das Gewicht. Das ist das ganze Gewicht. Achte nicht auf das Schwert. Das Schwert ist dein rechter Arm. Behalt deine Haltung bei. Denk an diese Haltung. Das Schwert spürst du nicht. Fühle, wo dein Schwerpunkt liegt. Wenn du soweit bist, geh die Bewegungen durch.« Er trat zurück. »Erst wenn du bereit bist. Fang von vorn an; laß dir Zeit.«
Sie verharrte mehrere Atemzüge lang. Als sie sich bewegte, tat sie es mit der gleichen vollendeten Ausgewogenheit, die ihre Grundstellung auszeichnete. Jeder Schritt beim Ausfall und bei der Wende stimmte genau.
»Schluß«, sagte er, und sie verharrte mitten in der Umdrehung in einer Haltung, die sie sehr lange beibehalten konnte. Er hob die Hand. »Bring die Schwertspitze bis an meine Finger.«
Der Stahl berührte ihn.
»Jetzt vollende die Bewegung langsam und halte dabei ständig Kontakt mit meinen Fingern.«
Er vollendete die Drehung mit ihr zusammen, bis ihre Füße wieder die Grundstellung eingenommen hatten. »Noch einmal«, befahl er und ging mit ihr mit. Dies wiederholte er noch siebenmal, langsam, wobei er dann und wann innehielt, wenn sie es tat, und sie keinen Moment lang den Blick von seinen Augen abwandte, wie er es sie gelehrt hatte.
Anmutig, dachte er. Wunderschön. Nicht das Gesicht, sondern die vollkommene Balance, die Aufmerksamkeit in ihren Augen – eine unbedingte Aufmerksamkeit.
Er zog seine Hand zurück, trat nach hinten und betrachtete sie, erstaunt darüber, daß eine Schweinehirtin sich wie ein flüchtiges Traumgebilde bewegte.
Seine Lehren, dachte er. Er war fähig, etwas Derartiges zu erschaffen.
Er spürte das Zucken in seinen Muskeln, die sich erinnerten, wie sich diese Bewegung anfühlte, wenn sie richtig ausgeführt wurde. So hatte er sich einmal bewegt.
Jetzt war er dazu nicht mehr fähig. Nie wieder würde er dazu fähig sein. Das mußte er sich immer wieder in Erinnerung rufen.
»Noch einmal!« sagte er, setzte sich hin und sah zu, wie das Mädchen die Bewegungen übte und in der spätsommerlichen Hitze heftig schwitzte. Er schaute zu, und als sie ihre Übungen beendet hatte und atemlos dastand, faßte er einen Entschluß, erhob sich und trat zu ihr.
Er nahm Heft und Faust in die Hand und streckte ihren Arm. »Bleib so«, sagte er, ging zurück und setzte sich wieder und fuhr fort, ein Kaninchenfell abzuschaben. Er stank nach Kaninchen. Sie stank nach Schweiß. Es war einer dieser stickigen, fürchterlichen Tage, an denen der Regen mit den Bergen kokettierte und die Luft schwül und unbewegt blieb.
Er sah, wie ihr Arm herabsank, beobachtete ihren Kampf
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