Der Paladin
habe...
Denn über Nacht war ihm klargeworden, daß sie nicht mehr die magere Streunerin war, als die sie auf den Berg gekommen war – das Haar staubig, stumpf und gestutzt, der Körper unter dem verdammten Korb gebeugt.
Das Mädchen, das er nun sah, hatte makellose Haut und leuchtende Augen und war besser genährt, ihr schulterlanges Haar glänzte, bei jeder Bewegung schwang sie die Hüften, die ganz anders als die eines Jungen waren.
Verdammt!
Und mit der gleichen Weitsicht hatte er erkannt, daß es selbst dann Gerede geben würde, wenn man einen der Jungen aus dem Dorf hinaufschickte, die schon einmal auf dem Berg gewesen waren, auch wenn dieser Taizu gar nicht zu Gesicht bekam.
Irgend etwas hat sich verändert, würde der Junge gleich nach seiner Rückkehr ins Dorf sagen... Denn in diesem Jahr wirkte die Lichtung tatsächlich gepflegter, so wie der Garten gedieh, mit seinen Stangenbohnen und den in säuberlichen Reihen bepflanzten Kräuterbeeten – er konnte selbst nicht genau sagen, was es war, aber Taizu hatte ein Gespür dafür, den Dingen den rechten Platz zuzuweisen und alles in Ordnung zu halten; sie jätete Unkraut und entfernte selbst die Kletterpflanzen, die auf die Lichtung zu kriechen versuchten, sich um die Zaunpfosten wanden und den Weg bis zum Frühjahr überwachsen hätten; sie brachte Haken an und hängte alle möglichen Sachen auf; sie verwahrte die Hacke und den Rechen wie Waffen; sie hängte Zwiebeln in Ketten, Kräuter und Wurzeln in Bündeln auf.
Nicht mehr wie früher, dachte er. Auf dem Berg war nichts mehr wie früher. Und er konnte nicht mehr begreifen, wie er daran hatte denken können, das Mädchen zu den Nonnen zu bringen.
Er stellte sich vor, daß sie gerade um die Ecke der Hütte bog, um ihren Beobachtungsposten auf der Hügelkuppe einzunehmen, von wo aus sie den Tauschhandel würde beobachten können. So war Taizu eben.
Und er nahm die gebündelten Felle, eine ungewöhnlich gute Ausbeute diesmal, vom Dachbalken und brachte sie hinaus auf die Veranda, während der Junge mit seinem Sack Reis und anderen Gütern näher gestapft kam.
»Meister Saukendar«, sagte der Junge – Shoka kannte ihn, doch plötzlich kam ihm in den Sinn, daß er sich nie die Mühe gemacht hatte, den Namen des Jungen zu behalten, eines stämmigen, breitgesichtigen Burschen, der sich den Schweiß von der Stirn abwischte und das Gepäck abstellte.
»Junge.« Shoka nickte höflich, als sich der Knabe verneigte; und überlegte unwillkürlich, zu welcher Familie er wohl gehörte, wer er war, warum gerade er ihm die letzten Jahre über die Geschenke des Dorfs überbracht hatte. Doch es schien zu spät, solche Fragen zu stellen, und Shoka wußte auch nicht, warum es auf einmal wichtig sein sollte oder warum ihm Fragen in den Sinn kamen, an die er noch nie gedacht hatte...
...jedenfalls seit damals nicht mehr, als Saukendar, die rechte Hand des Kaisers, über alles am Hof Bescheid gewußt und sich aufmerksam um alle möglichen Einzelheiten gekümmert hatte; aber Shoka, der Einsiedler, hatte den Hof und alles, was damit zusammenhing, aufgegeben.
Darum behielt er seine Fragen und seine Neugier für sich. Er hätte den Jungen nur ermutigt, seinerseits Fragen zu stellen, und das wollte er nicht. Fragen nach der Welt führten zu Antworten über die Welt, und er hatte vor neun Jahren aufgehört, etwas erfahren zu wollen.
Und so holte er seine Felle, schichtete sie auf der Veranda zu einem eindrucksvollen Stapel auf und sagte bescheiden: »Ich hätte gern ein paar Bündel Stroh, wenn es möglich ist. Ich muß etwas ausbessern.«
Das Dorf handelte nie mit ihm. Dieses Jahr bekam es mehr, und zwar in Form von Fellen, weil er mehr Zeit zum Jagen gehabt hatte, und nach den ausgiebigen Regenfälle gab es viele Kaninchen und Füchse; wenn er dieses Jahr ein wenig Stroh erbat, dann sollte das für das Dorf trotz der guten Ernte keine Belastung bedeuten.
(Laßt Euch bloß nicht einreden, die Ernte sei schlecht gewesen, hatte Taizu grimmig verlangt. Sie ist gut dieses Jahr, anders kann es gar nicht sein.)
»Ja, Herr«, sagte der Junge. »Ich werd's ausrichten, Herr. Ich bring's her. Morgen, wenn Ihr wollt.«
»Braver Junge.« Soviel zum harten Feilschen. Er war dem Jungen dankbar; und er sah, wie er errötete, wie seine Augen kurz Shokas Blick suchten und sich scheu wieder senkten, als Shoka das Paket auspackte, das der Junge mitgebracht hatte.
Da gab es Reis, da gab es Salz, da gab es Würste, wundervolle Würste,
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