Der Paladin
zog die Zügel straff, und Jiro tat einen Satz, schnaubte und wollte immer noch auf die Puppen losgehen. Sie verminderte die Geschwindigkeit bis zum Schritt und ritt zu den Strohpuppen am Ende der Weide und zum Zaun hinunter, dann zog sie erneut die Zügel straff.
Eine Verschnaufpause, dachte er. Von dieser Stelle aus überblickte man das ganze Tal, den Gebirgsrand im Westen, den Sonnenuntergang und die vergoldeten Wolken.
Sie schaute jedoch nur kurz dorthin. Dann blickte sie nach Osten, zur stumpfen, dunklen Seite des Himmels; saß einfach eine Weile da und starrte in diese unheilverkündende Richtung.
Er glitt beunruhigt vom Zaun und wartete, bis sie Jiro schließlich herumlenkte. Am liebsten hätte er so getan, als hätte er nichts bemerkt.
Sie jedoch zügelte Jiro abermals und drehte ihn herum und blickte noch einen Moment in die Richtung, bevor sie zum Stall zurückkam.
Von Jiros Rücken aus sah sie ihn auf die gleiche seltsame Weise an.
Da wußte er, daß sie an Aufbruch dachte. Jetzt, da die Sonne sich von ihrer nördlichen Bahn wieder südwärts wendete und es Herbst wurde.
An einem Tag wie diesem war sie angekommen. An einem Abend wie diesem, als die Sonne alles golden umrahmt hatte. Daran erinnerte er sich noch.
Während des Abendessens auf der Veranda sprach sie nicht darüber. Auch nicht beim nächsten Frühstück, und dennoch umgab sie eine stille Traurigkeit, die ihm sagte, daß sie mit sich zu Rate ging.
Vielleicht, dachte er, sich an diese Hoffnung klammernd, war sie dabei, es sich anders zu überlegen. Vielleicht waren ihr Schweigen und ihre Traurigkeit ein gutes Omen für ihn.
Er traute sich nicht, sie zu fragen und einen Streit heraufzubeschwören: sie war dickköpfig. Aus Sturheit könnte sie das genaue Gegenteil davon tun, was er wollte. Sie kämpfte mit ihrem Pflichtgefühl.
Vielleicht war es Zuneigung. Oder es widerstrebte ihr, auf Annehmlichkeiten zu verzichten und einen Mann zu verlassen, der zumindest ihr Lehrer war. Das wog sie ab gegen den Zorn, gegen die Trauer und gegen das Gelübde, das sie als Kind getan hatte. Und dieses Kind hatte keine Ahnung von dem Preis gehabt, den es als Frau einmal würde bezahlen müssen.
Er hatte sie gelehrt, alles gegeneinander abzuwägen. Er hatte sie gelehrt, alles zu durchdenken, und jetzt kam es darauf an, daß er sich ruhig verhielt, daß er so tat, als merke er nicht, daß etwas nicht stimmte, daß er sie einfach
tun
ließ, was er ihr beigebracht hatte, und ihr Gelegenheit gab, das Problem von allen Seiten zu beleuchten.
Und darauf vertraute, daß sie zu guter Letzt ihren Verstand gebrauchte.
Er traute sich jedoch nicht, die Hütte zu verlassen, aus Angst, sie könnte sich plötzlich ohne ihn entscheiden, ihn wie das Kind, das sie manchmal war, einfach verlassen.
Schon die bloße Vorstellung tat weh.
Ein Tag verging, dann noch einer. Allmählich vermutete er, sich in ihr getäuscht zu haben – oder sie hatte es sich anders überlegt.
Dann kam er eines Tages den Hang heraufgestapft und fand sie an der Kochstelle vor, wo sie eine Portion Rauchfleisch in Leder einwickelte. Neben ihr lagen weitere Portionen.
»Was tust du da?« fragte er herausfordernd; er kannte die Antwort bereits.
Sie sah ihn nicht gleich an. Sie rollte das Fleisch fertig ein und legte es zu den anderen Portionen. Dann sah sie zu ihm her, so als falle es ihr sehr schwer. »Ich gehe weg«, sagte sie.
»Du bist noch nicht soweit.«
»Wie lange soll es denn dauern? Bis Gitu an Altersschwäche stirbt?«
»Zwei Jahre reichen nicht. Wie lange, glaubst du, geht ein Mann bei einem Meister in die Schule? Drei oder vier Jahre. Mindestens. Was meinst du, wie lange Gitu gelernt hat?«
Sie zuckte die Achseln, drehte sich um, wickelte die Pakete in ein altes Tuch und verschnürte es.
»Ich habe doch nicht zwei Jahre darauf verwandt, eine Närrin zu unterrichten!« rief er. »Wenn man dich in diesem Aufzug erwischt, wird man dir die Hand abhacken.«
Sie sah ihn nicht an.
»Man. wird dich schnappen, Mädchen. Du gehst nicht wie ein Bauer, du siehst nicht aus wie ein Bauer, du bewegst dich anders, und du siehst auch nicht mehr wie ein Junge aus. Hab ich recht?«
»Doch, wenn ich will.«
»Ach,
verdammt
, Mädchen, du hast keine Aussicht auf Erfolg. Du bist nicht wie ein Junge gebaut, und du gehst auch nicht wie ein Junge. Auch nicht wie ein Mädchen vom Lande. Was willst du also tun?«
Sie runzelte die Stirn. »Im Wald bleiben. Mich an Trampelpfade halten.«
»Wo die
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