Der Palast
dass er sich selbst schützen konnte, wenn er der Partei Matsudairas beitrat, war Kii gar nicht so dumm oder unterwürfig, wie Yanagisawa bisher geglaubt hatte.
Vielleicht hatte Fürst Kii sogar die Entführung organisiert.
Doch Yanagisawa hatte weder Beweise gefunden, dass Kii der Drachenkönig war, noch Spuren entdeckt, die zu Fürstin Keisho-ins Versteck führten. Stattdessen hatte er sich aus dem Haus jagen lassen, ehe er nach Hinweisen hätte suchen können. Und wenn er es wagte, noch einmal bei Kii zu erscheinen, könnte er einen Krieg auslösen, den er nicht gewinnen konnte, da seine Macht schwand. Das laute Klopfen seines Herzens und das Rauschen seines Blutes in den Ohren klangen wie eine ferne Lawine, die auf ihn zuraste.
Yanagisawa wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte nur hoffen, dass Sano den Fall löste, Hoshinas Hinrichtung verhinderte und ihm, Yanagisawa, den Untergang ersparte, auf den er unweigerlich zusteuerte, wenn Fürstin Keisho-in nicht gerettet wurde.
21.
R
ot und rosa, gelb und orange, blau und grün gemusterte Schirme blühten wie riesige runde Blumen vor den Geschäften in einer schmalen Straße im Händlerviertel Nihonbashi. In den Geschäften fertigten die Schirmmacher Bambusgriffe an, bespannten die Schirme und malten bunte Bilder auf die Bespannung. Kunden feilschten mit den Verkäufern; wurden sie sich handelseinig, schlenderten sie mit ihren neuen Sonnenschirmen durch die Straßen und Gassen, um sich vor der heißen Nachmittagssonne in der Stadt zu schützen.
Sano und ein Trupp Ermittler stiegen vor dem Tor in der Nähe ihres Ziels aus den Sätteln, gingen die Straße der Schirmmacher hinauf und drängten sich an einem umherziehenden Teeverkäufer vorbei. Sano hielt einen Jungen an, der eine Ladung Bambusstangen schleppte, und fragte ihn: »Wo finde ich Yuka?«
Der Junge zeigte auf ein Haus. Sanos Blick wanderte über die Häuserzeile. Er sah ein weibliches Wesen, das er auf den ersten Blick für ein junges Mädchen hielt. Sie schwang einen Strohbesen und fegte Staub und Unrat aus einem Geschäft. Der sōsakan-sama und seine Männer gingen dorthin. Bei näherer Betrachtung stellte Sano fest, dass es sich nicht um ein junges Mädchen, sondern um eine kleine Frau mittleren Alters handelte, die ein verblichenes blaues Kleid und ein weißes Kopftuch trug. Als Sano ihren Namen rief, hielt sie in der Arbeit inne und wandte ihm ihr rundes, freundliches Gesicht zu. Braune Flecke und kleine Fältchen auf ihrem gebräunten Gesicht zeugten von ihrem Alter, das Sano auf ungefähr fünfunddreißig schätzte. Er hatte den Eindruck, dass die Frau bei guter Gesundheit war und gewiss nicht auf dem Sterbebett lag, wie Mariko – ihre Tochter – es Madam Chizuru hatte weismachen wollen.
»Ja, Herr?«, fragte die Frau und verneigte sich schnell. Ihre hellen Augen musterten Sano und dessen Männer mit verhaltener Neugier.
Sano stellte sich vor und erwiderte: »Ich möchte mit Euch über Eure Tochter sprechen.«
»Meine Tochter?« Yukas Blick verdunkelte sich.
»Ihr seid doch die Mutter von Mariko, nicht wahr?«, fragte Sano.
»Mariko?« Die Frau presste den Besen an ihren untersetzten, kindlichen Körper. Sano wusste nicht, ob Furcht oder ihr schlichtes Gemüt sie dazu veranlassten, seine Worte zu wiederholen, ohne sie scheinbar zu begreifen. Dann aber nickte sie, und ihr Blick wurde wachsam.
»Ich muss Euch ein paar Fragen über Mariko stellen«, sagte Sano. »Hat sie Euch vor sieben Tagen besucht?«
»Mich besucht? Nein, Herr.« Yuka runzelte verwirrt die Stirn.
Sano erkannte, dass Yuka durchaus nicht einfältig war. Wie die meisten gemeinen Bürger hatte sie lediglich Angst vor der Obrigkeit. Dass sie seine Worte wiederholte, war offenbar eine nervöse Angewohnheit. Obwohl Sano wusste, dass ihm ein schwieriges Verhör bevorstand und dass er sich zurückhalten musste, wenn er einer Mutter Fragen über ihr totes Kind stellte, war er nicht so ungeduldig wie beim Verhör des Händlers Naraya.
Jetzt stand fest, dass Mariko den Besuch bei ihrer Mutter bloß erfunden hatte. Ihre Lüge – in Verbindung mit den versteckten Goldmünzen – bestärkten Sano in seinem Verdacht, dass Mariko die Komplizin des Drachenkönigs war. Die zunehmende Gewissheit, einen Weg zur Wahrheit gefunden zu haben, verlieh Sano Energie, die ihn beruhigte und zugleich beflügelte. Die beständige Verzweiflung, Reiko nicht zu finden, die mit jeder verstreichenden Stunde zugenommen hatte, wich ein wenig. Dieses
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