Der Palast
Yanagisawa. »Sie sind die Tōkaidō in dieselbe Richtung geritten, die später der Pilgerzug genommen hat. Wohin sind sie geritten?«
»Sie hatten in Miyako Geschäfte für mich zu erledigen.«
»Was für Geschäfte?«
»Was spielt das schon für eine Rolle.« Ein gequälter Ausdruck huschte über Fürst Kiis Gesicht, und Schweißperlen rannen ihm über die Wangen. Auf dem Übungsplatz wütete derweil der Kampf zwischen den Truppen mit den roten und blauen Fahnen, die einander mit den Holzschwertern attackierten. Die Offiziere riefen Befehle, und die Tritonshörner schallten.
»Warum stellt Ihr mir diese Fragen?«, erkundigte sich Fürst Kii.
»Ich muss wissen, warum Eure Männer auf der Fernstraße waren – in der Nähe des Ortes, an dem die Frauen entführt wurden«, beharrte Yanagisawa. »Wenn Ihr mir einen plausiblen Grund nennt, kann ich dem sōsakan-sama alles erklären, und er wird nicht das Schlimmste annehmen. Deshalb sagt mir bitte, was Eure Leute an der Tōkaidō getan haben.«
Yanagisawa hoffte, die Beleidigung, die in seiner Frage verborgen war, durch seine geschickte Formulierung wettzumachen. Er rechnete damit, dass Fürst Kii die Frage beantwortete, weil sein Verbündeter ihm noch nie etwas verweigert hatte. Doch Fürst Kii starrte Yanagisawa mit ausdruckslosem Blick an, in den sich zuerst Verwunderung, dann fassungsloses Begreifen mischte.
»Jetzt verstehe ich!«, rief er wie ein Mann, der soeben erwacht war und der bitteren Realität ins Auge blickte. »Es ist gar nicht der sōsakan-sama, der glaubt, ich hätte Unrecht getan, sondern Ihr seid es.« Sein Finger zeigte auf Yanagisawa. Vor Empörung hob er die Stimme. »Ihr beschuldigt mich, meine Männer auf die Reise geschickt zu haben, damit sie die Mutter des Shōgun entführen!«
Das Gespräch, das unter Yanagisawas Kontrolle bis jetzt in ruhigem, sachlichem Ton geführt worden war, glitt nun abrupt auf gefährliches Terrain.
»Es lag nicht in meiner Absicht, Euch irgendeiner Sache zu beschuldigen«, sagte Yanagisawa hastig. Er musste Fürst Kii besänftigen, ehe die Situation sich zuspitzte. »Ihr habt mich missverstanden.«
Doch Fürst Kii schien ihn gar nicht zu hören. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe meinen Klan an Euch verraten, obwohl Mataemon mich gewarnt hat. Sogar nach seinem Tod habe ich mich an unser Abkommen gehalten, weil ich Euch die Treue geschworen habe. Ich habe Euren Wünschen größeren Wert beigemessen als denen meines Sohnes. Aber jetzt erkenne ich, dass Mataemon Recht hatte.« Mit gekränktem Blick wich Fürst Kii vor Yanagisawa zurück. »Jetzt belohnt Ihr meine Treue und Ergebenheit, indem Ihr mich beschuldigt, Hochverrat begangen zu haben!«
»Das würde ich niemals tun!«, verteidigte Yanagisawa sich mit einer Leidenschaft, die seiner Angst entsprang, das Bündnis mit Fürst Kii könne zerbrechen. »Glaubt mir, das ist die Wahrheit!«
Yanagisawa dachte an die sechstausend Soldaten, die Fürst Kii befehligte, und an dessen riesiges Vermögen, das ausreichte, um damit einen Staatsstreich zu finanzieren. Yanagisawa musste den Schaden wieder gutmachen, den das Bündnis mit Kii genommen hatte, das für sein Machtbestreben und die Verteidigung gegen seine Feinde jedoch von entscheidender Bedeutung war. Yanagisawa ging einen Schritt auf Fürst Kii zu, doch der daimyo riss seine gepanzerten Arme hoch und wies Yanagisawa zurück.
»Ihr seid ein Lügner!«, rief Fürst Kii, dessen verletzte Eitelkeit sich in Wut verwandelte. »Ich kannte Euren Ruf, als ich Eure Gunst angenommen habe. Ich hätte wissen müssen, dass Ihr Euch eines Tages wie eine Schlange gegen mich wenden würdet, die in die Hand beißt, die sie füttert. Ich hätte mir niemals einreden dürfen, dass eine Verbindung mit Euch gut für mich wäre! Ich war ein Narr! Wie konnte ich nur Euren Liebhaber entschuldigen, der am Tod meines Sohnes die Schuld trägt, und meine Pflicht Euch gegenüber höher schätzen als die Pflicht und Verantwortung gegenüber meinem eigenen Fleisch und Blut!«
Yanagisawa erkannte mit wieder erwachendem Entsetzen seinen Irrtum. Fürst Kii hatte weder den Tod seines Sohnes noch Hoshinas Schuld daran verziehen. Die Beleidigung, die Yanagisawa dem Fürsten unabsichtlich zugefügt hatte, hatte ein Feuer der Bitterkeit in dem daimyo entfacht. Die Erkenntnis, den Mann, den er für unterwürfig und harmlos gehalten hatte, falsch eingeschätzt zu haben, beschämte Yanagisawa. Er begriff, dass die Beschuldigung gewissermaßen der
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