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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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Stöhnen geweckt. Mariko lag auf dem Boden. Sie krümmte sich vor Schmerzen, presste sich die Hände auf den Leib und schrie um Hilfe. Ich stand sofort auf, denn ich dachte, sie sei krank. Doch kurz darauf brachte sie ein Kind zur Welt. Es war ein Junge, der kaum größer war als meine Hand. Es war eine Totgeburt.«
    Yuka schaute mit verschleiertem Blick in die Ferne, als würde sie das Bild im Geiste noch einmal vor sich sehen. »Ich hatte nicht gewusst, dass Mariko schwanger war. Ich fragte sie, wer der Vater sei, doch sie schloss einfach die Augen und schwieg. Ich wickelte das Totgeborene ein und warf es in den Abfallkübel. Niemand sollte erfahren, welche Schande Mariko über sich gebracht hatte. Ich hoffte, dass es ihr eine Lehre sein würde und dass sie sich nun nicht mehr herumtrieb.«
    Diese beinahe alltägliche Geschichte eines Mädchens, das auf die schiefe Bahn geraten war, besaß einen geheimnisvollen Unterton, der Sanos Neugier weckte. Er brannte darauf, mehr zu erfahren.
    »Doch am nächsten Tag schlich Mariko sich wieder davon«, fuhr Yuka fort. »Über das, was sie erlebt hatte, sagte sie kein Wort. Dank Hiroshi, einem Verkäufer im Schirmgeschäft, fand ich dann aber heraus, wer der Mann war. Hiroshi -san sagte zu mir: ›Gestern habe ich Eure Tochter in Ginza gesehen.‹ Hiroshi- san hatte dort geschäftlich zu tun und wurde so lange aufgehalten, bis die Tore des Viertels geschlossen waren und er an dem Abend nicht mehr zurück nach Hause konnte. Er ging in ein Gasthaus und bat um ein Quartier. Ein Mann kam an die Tür und sagte: ›Wir haben kein freies Zimmer mehr.‹ Hiroshi -san wunderte sich, denn das Haus wirkte ruhig und verlassen. Er schaute an dem Mann vorbei in die Gaststube und sah Mariko dort sitzen.«
    Diese mögliche Spur ließ eine Alarmglocke in Sanos Kopf erklingen, doch er zwang sich, Yuka nicht durch Fragen zu unterbrechen.
    »Ich war froh, als ich erfuhr, wo Mariko war«, sagte sie. »Ich bat Hiroshi -san, mich zu ihr zu führen und mir zu helfen, sie nach Hause zu bringen. Er ist ein freundlicher Mann und stimmte zu. Am nächsten Tag gingen wir zusammen in das Gasthaus. Wir klopften an die Tür, und der Mann trat zu uns heraus. Ich sagte: ›Ich will meine Tochter Mariko abholen.‹ Er antwortete: ›Sie ist nicht hier.‹ Ich wurde wütend, denn ich wusste sofort, als ich den Mann sah, dass er meine Tochter geschwängert hatte. ›Ihr lügt‹, sagte ich. ›Bringt Mariko zu mir. Ohne sie gehe ich nicht.‹ Daraufhin rief der Fremde zwei finstere, kräftige Männer herbei und befahl ihnen, mich zu vertreiben. Sie scheuchten Hiroshi -san und mich davon. Der Mann rief uns nach: ›Wenn ihr euch noch einmal hier blicken lasst, töten sie euch.‹ Hiroshi -san und ich gingen nach Hause. Ich wusste nun, dass Mariko sich mit schlechten Menschen eingelassen hatte. Ich wollte sie retten, aber ich wusste nicht, was ich tun sollte oder an wen ich mich hätte wenden können. Mir blieb nur die Hoffnung, dass es ihr gut ging. Ich betete, sie möge nach Hause zurückkehren.«
    Yuka ließ den Kopf hängen und senkte den Blick. »Ich wartete ein ganzes Jahr, bis zum letzten Herbst. Es war im achten Monat. Bei Tagesanbruch taumelte Mariko in das Hinterzimmer des Ladens. Sie keuchte, als wäre sie eine lange Strecke gerannt. Ihr Gesicht war von Schrammen und Schnitten übersät, ihre Kleider zerrissen und mit Blut befleckt, und sie roch nach Rauch. Sie wollte mir nicht sagen, was geschehen war, klammerte sich aber an mich und weinte.«
    Letzten Herbst … im achten Monat. Dieser Zeitpunkt hatte sich Sano unwiderruflich ins Gedächtnis gegraben, denn er war mit Ereignissen verbunden, die er nie vergessen würde. Ihm fiel eine mögliche Erklärung für Marikos seltsames Verhalten und ihren Zustand an jenem Tag ein.
    Sano zog die Stirn in Falten und dachte schaudernd an jenen Fall zurück, der ihn nun einholte und zurück auf ein Gebiet führte, das er verlassen hatte, nachdem der Erpressungsbrief eingetroffen war.
    »Ich wusch Mariko und steckte sie ins Bett«, sagte Yuka. »Vier Tage lang aß sie nichts, lag nur da und weinte. Im Schlaf schrie sie immer wieder: ›Nein! Nein!‹ und sie benahm sich, als wollte jemand sie angreifen.« Yuka ahmte die hektischen Bewegungen ihrer Tochter nach, indem sie den Kopf zurückwarf und mit den Armen um sich schlug. »Sobald sie aufwachte, schrie sie.«
    Sano war auf der Hut. Er durfte keine Zusammenhänge sehen, wo es keine gab. Er brauchte mehr Beweise, ehe

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