Der Palast
nach einem erbitterten Schwertkampf auch den zweiten Gegner aus. Erschöpft und mit Blutspritzern aus zahlreichen kleinen Schnittwunden übersät, betrachteten Hirata und seine Ermittler die Leichen.
»Jetzt sind es achtzehn«, sagte Marume. »Ich frage mich, wie viele Entführer noch auf der Insel sind.«
»Zu viele«, erwiderte Hirata.
Die Anzahl des Feindes schien sich kaum zu verringern, obwohl sie einige Gegner ausgeschaltet hatten. Und auch wenn diese Männer keine Gnade kannten, Midori und die anderen Frauen entführt und hundert Menschen ermordet hatten, zerrte das endlose Töten an Hiratas Nerven. Er hoffte, lange genug durchzuhalten, bis er Midori gerettet hatte.
Plötzlich regte sich etwas hinter einem verfallenen Gartenhaus ganz in der Nähe. In letzter Sekunde erblickte Hirata den zylindrischen Lauf einer Schusswaffe, der soeben hinter einer Ecke auftauchte.
»Lauft!«, rief er.
Hirata, Marume und Fukida rannten durch den Garten. Ein donnernder Schuss hallte über die Insel. Die Kugel prallte vom Felsen ab. Weitere Schussdetonationen zerrissen die Stille, gefolgt von eiligen Schritten. Mit eingezogenen Köpfen stürmten die Ermittler zwischen den Bäumen hindurch, die den Palast vom See trennten, der sich wie graue Lava im Wind kräuselte. Am Ufer blieben sie stehen und sahen sich verzweifelt nach einem Versteck um. Das Schilf bog sich im Wind. Schwarze Wolken jagten über den Wäldern und Bergen auf dem Festland dahin. Hirata, Marume und Fukida warfen sich ins Schilf und hockten sich hin, sodass sie bis zur Taille im Wasser versanken.
Zwei Samurai kamen aus dem Wald gestürmt. Beide trugen Hakenbüchsen bei sich. An ihren Taillen hingen Dosen für Schießpulver und Kugeln. Sie blieben stehen und schauten sich um. Ihre Blicke wanderten auch über das Versteck der Ermittler, die erstarrt den Atem anhielten. Schließlich kehrten die beiden Samurai in den Wald zurück. Hirata und seine Leute wechselten Blicke, in denen sich mehr Angst als Erleichterung spiegelte.
»Wahrscheinlich wollen sie uns gar nicht mehr gefangen nehmen, sonst würden sie keine Waffen benutzen«, sagte Hirata. »Sie schießen auf uns, um uns zu töten.«
»Das war knapp«, sagte Fukida.
»Lange stehen wir das nicht durch«, meinte Marume. »Früher oder später erwischen sie uns.«
Hirata konnte nicht bestreiten, dass diese Gefahr bestand. Dennoch erwiderte er trotzig: »Wir werden es nicht mehr lange durchstehen müssen. Sobald wir die Bewachung des Palasts ausreichend geschwächt haben, wird es uns gelingen, die Frauen zu befreien.«
30.
A
uf der Insel schlug die Zeit einen quälenden, unbarmherzigen Takt. Auf eine kalte Nacht folgte ein trüber Morgen und dann ein stürmischer Tag. Jetzt brach eine neue Nacht herein. Mit jeder Stunde, die verging, näherten sich die donnernden Schüsse dem Palast. In dem Quartier der Frauen wimmerte das Baby in Midoris Armen.
»Die Schüsse machen ihr Angst«, sagte Midori. »Ich wünschte, es würde endlich aufhören.«
Keisho-in und Fürstin Yanagisawa, die sich zum Schutz vor der kalten Nacht in ihre Decken gehüllt hatten, hoben die Blicke zum Fenster. Das fahle Mondlicht schien auf ihre ängstlichen Gesichter. Reiko regte sich unter ihrer Decke. Jetzt konnte sie gut nachempfinden, wie Samurai-Gemahlinnen sich in Kriegszeiten gefühlt haben mussten, wenn sie angsterfüllt auf ihre kämpfenden Männer warteten. Reiko hatte den Drachenkönig seit zwei Tagen nicht gesehen. Welche Auswirkungen der Kampf wohl auf diesen geistig verwirrten Mann hatte? Würde er seinen Leuten befehlen, sie und ihre Freundinnen zu töten, anstatt sie, Reiko, zu einem weiteren erotischen Stelldichein zu bestellen?
Wieder waren donnernde Schüsse zu hören. Midori und Keisho-in schrien; das Baby jammerte kläglich. Die Tür wurde geöffnet. Ota stand auf der Schwelle. Er funkelte Reiko wütend an.
»Mein Herr will Euch sehen«, sagte er.
Angst, gepaart mit Hoffnung, überkam Reiko. Als sie sich erhob und zur Tür ging, spürte sie, dass der Weg, den sie heute Nacht einschlug, über ihr Schicksal entscheiden würde.
Ota zeigte auf die anderen Frauen. »Benehmt Euch, solange ich fort bin!«
Er warf dem Baby einen unheilvollen Blick zu, ehe er sich umdrehte. Auf dem Gang vor dem Quartier presste er Reiko an die Wand und drückte ihr die Schwertklinge an die Kehle, während er die Tür schloss und den Metallbolzen durch die Riegel schob. Allem Anschein nach hatte er die Absicht, Reikos Freundinnen allein
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