Der Palast
unter Kontrolle.«
Während der Drachenkönig sprach, war abermals das laute Krachen eines Schusses zu vernehmen. Er schaute hinaus auf die Bäume, die sich im Sturm bogen, und hinauf zum schwarzen Himmel hinter dem Balkon. Dann drehte er sich wieder zu Reiko um und schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln.
»Kommt, lasst uns etwas trinken«, sagte er.
Reiko, die den nach Alkohol riechenden Atem des Drachenkönigs bemerkte, wusste, dass er bereits getrunken hatte. Sie knieten sich Seite an Seite vor den Tisch. Der Drachenkönig goss aus einer Karaffe Sake in zwei Schalen. Während Reiko an ihrer Schale nippte, leerte er seine in einem Zug. Reiko füllte sie wieder und hoffte, er würde so viel trinken, dass sein Verstand sich trübte und seine Kraft erlahmte.
»Fühlt Ihr Euch jetzt besser?«, fragte er.
»Viel besser, Herr.« Reiko beobachtete, wie er die Schale abermals in einem Zug leerte. »Aber ich spüre, dass wir von dämonischen Kräften umgeben sind.« Sie schauderte und blickte unruhig in die Runde. Fieberhaft suchte sie nach den passenden Worten, die ihr helfen würden, Macht über den Drachenkönig zu gewinnen. »Die Kräfte, die uns trennen wollen, werden stärker. Ich fürchte, uns beiden bleibt nur noch wenig Zeit.«
»Wir haben alle Zeit der Welt, Anemone.«
Reiko spürte die Zweifel und die Unsicherheit, die in der zuversichtlichen Stimme des Drachenkönigs mitschwangen. Er würde ihr dorthin folgen, wohin sie ihn führte. »Wir Sterblichen können niemals vertrauensvoll in die Zukunft blicken. In jedem Augenblick kann unser Leben zu Ende sein. Und dann können wir unsere Leidenschaft, deren Erfüllung wir aufgeschoben haben, nicht mehr genießen.«
Der Drachenkönig nickte, runzelte jedoch die Stirn, als würde er ihre Worte in sich aufnehmen, ohne sie zu verstehen.
»Ich möchte, dass Ihr mich liebt.« Reikos Stimme schwankte, als sie die Worte aussprach, die sie niemals zu einem anderen Mann als Sano hatte sagen wollen. »Ich möchte, dass wir zusammen sind, ehe es zu spät ist.«
Offenen Mundes lauschte der Drachenkönig ihrem kühnen Vorschlag. Reiko hörte sein lautes, erregtes Keuchen und bemerkte seine geweiteten Pupillen. Doch ein sonderbares, ängstliches Zögern ließ ihn auf der Stelle verharren. Langsam schüttelte er den Kopf.
»Wir müssen warten, bis Hoshina gebüßt hat für das Leid, das er uns zugefügt hat«, sagte er.
In Reiko keimte Verzweiflung auf. Sie musste den Drachenkönig um jeden Preis betören. Wie sollte es ihr sonst gelingen, einen Mann zu überwältigen, der viel stärker war als sie? Wie könnte sie ihn sonst dazu bringen, seine Wachsamkeit aufzugeben und seine Schwerter abzulegen, sodass sie ihn töten konnte?
»Ich möchte nicht länger warten«, entgegnete Reiko. Jetzt war der günstigste Zeitpunkt. Der Kampf gegen die Eindringlinge hielt seine Männer in Atem. Daher war von ihrer Seite keine Störung zu erwarten. »Es könnte unsere letzte Gelegenheit sein, unsere Begierde zu befriedigen. Wenn wir sie nicht nutzen, werden wir es vielleicht für immer bereuen.«
Die Dringlichkeit verlieh ihrer Stimme eine Leidenschaft, der normalerweise kein Mann hätte widerstehen können. Der Drachenkönig jedoch wich zurück; seine Gesichtsmuskeln zuckten alarmiert. Reiko erhob sich und ergriff seine Hand. »Kommt«, sagte sie. »Ich möchte mich Euch hingeben.«
Der Drachenkönig erhob sich zögernd. Reiko spürte seinen Widerstand und die Bedrängnis, die in seiner warmen, feuchten Hand pulsierte. »Jetzt nicht«, sagte er. »Wir müssen warten.«
»Nein, das müssen wir nicht.« Reiko ging auf das Schlafgemach hinter der geöffneten Trennwand zu.
Der Drachenkönig versteifte sich und verharrte reglos. Sein panischer Blick wanderte auf der Suche nach einem Ausweg durch den Raum, um das zu verhindern, was er sich wünschte und was Reiko niemals getan hätte, hätte ihre missliche Lage sie nicht dazu gezwungen. Lächelnd schlug Reiko die Augenlider nieder. Als sie erneut an seiner Hand zog, atmete er laut aus. Dann schritten sie Hand in Hand zum Schlafgemach.
Am gegenüberliegenden Ufer ritten Sano und Kammerherr Yanagisawa aus der Dunkelheit des Waldes und zügelten am Rand des Sees die Pferde. Die Reiter, Fußsoldaten und Bootsträger blieben auf dem Weg hinter ihnen stehen. Weit vor ihren Augen erhob sich Dannoshins Insel aus der Wasserfläche, die im Mondschein schwarz und silbern schimmerte.
Sano atmete erleichtert auf, als sie nach einem
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