Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
Vom Netzwerk:
sprechen. Ihm wurde klar, dass Yanagisawa einen Großteil seiner Macht verloren hatte. Zugleich wurde ihm bewusst, dass die Entführung Auswirkungen hatte, die außerhalb der höchsten Ebene des bakufu bisher kaum jemandem bekannt sein dürften.
    Yanagisawa brüllte seinen Truppen zu: »Überholt das Heer!«
    Die Soldaten des Kammerherrn sprengten an Sano vorbei. Galoppierende Pferde bedrängten ihn, bis er schließlich die Spitze seiner Ermittler erreichte und sich der wilden Verfolgungsjagd anschloss. Seine und Yanagisawas Soldaten ritten die Straßenböschungen hinauf, umzingelten das Heer und stürmten durch die Ränge. Die gegnerischen Truppen lieferten sich sogar kleinere Gefechte. Yanagisawas Truppe löste sich aus der Menge und hetzte davon. Sano und seine Ermittler warfen Soldaten des Heeres aus den Sätteln und wehrten die Gegner ab. Sie bahnten den Männern mit den Booten einen Weg und folgten Yanagisawa.
    Ein greller Blitz zuckte über den Himmel. Donnerschläge erschütterten die Erde. Mit zornigem Geschrei nahmen die Tokugawa-Soldaten die Verfolgung auf, blieben aber dennoch bald zurück. Sano und Yanagisawa preschten durch den Regen, bis sie den Fluss Sakawa erreichten. Der Regen hatte ihn in einen reißenden Strom verwandelt, der die Steindämme überschwemmte. Sano sah in beiden Richtungen gefährliche Stromschnellen. Die Fährmänner, die normalerweise Reisende über den Fluss ruderten, waren verschwunden.
    »Wir reiten auf unseren Pferden hinüber und rudern in unseren eigenen Booten«, sagte Yanagisawa.
    Auf seinen Befehl hin führten die Reiter ihre Pferde in den Fluss; die Fußsoldaten ließen die Boote ins Wasser. Reiter, Ruderer und Pferde kämpften mühsam gegen die starke Strömung an. Die Boote drehten sich wie Kreisel und drohten zu sinken. Einige Reiter wurden aus den Sätteln geworfen und von der Strömung davongerissen. Sano trieb sein Pferd ins Wasser. Auch ihn kostete es gewaltige Anstrengung, gegen die reißenden Fluten anzukämpfen. Kalte Wellen schwappten über seinen Schoß. Auf halber Strecke hörte er Hufschläge auf der Straße hinter sich. Er drehte den Kopf und erblickte berittene Soldaten, die sich näherten. Im ersten Moment dachte er, das Heer hätte sie eingeholt; dann aber erkannte er die Flagge, die der vordere Reiter trug. Sano wunderte sich, als er auf der Flagge nicht das Tokugawa-Wappen erblickte, sondern das Symbol einer Libelle.
    Die soeben am Ufer angekommenen Reiter tauchten in die kalten Fluten und drängten sich zwischen die zahllosen Reiter und Ruderer, die in den reißenden Fluten ums Überleben kämpften. Ein Samurai führte sein Pferd an Sanos Seite. »Aus dem Weg!«, rief er.
    »Fürst Niu!«, sagte Sano, als er das verzerrte Gesicht des verrückten daimyo erkannte. »Was macht Ihr hier?«
    »Ich habe gehört, dass Ihr, der Kammerherr und das Heer nach Izu reiten, um meine Tochter zu retten. Da habe ich beschlossen, mich anzuschließen.« Er schnalzte mit der Zunge und schrie: »Schneller! Schneller!«
    Sano erschreckte das Durcheinander der Rettungsaktion. In diese Operation waren zu viele verschiedene Parteien verwickelt, und das würde nicht gerade zum Gelingen des Einsatzes beitragen. Der aufbrausende Fürst Niu stellte eine noch größere Gefahr für die Operation dar als das Tokugawa-Heer. Die Mission hatte sich in eine wahre Hetzjagd verwandelt. Jetzt kam es darauf an, wer zuerst in Izu eintraf und diesen Kampf lange genug überlebte, um die Frauen zu retten.
     
    Im Palast des Drachenkönigs lauschten die Frauen dem Lärm, der gestern Nacht begonnen hatte und bis zu diesem Nachmittag anhielt. Schreie ertönten; hastige Schritte eilten durch den Palast und über die Höfe. Reiko hörte in der Ferne Pfeile durch die Luft sirren und vernahm die dumpfen Einschläge. Seitdem der Tumult ausgebrochen war, blickte sie immer wieder durch das vergitterte Fenster.
    »Könnt Ihr etwas sehen?«, fragte Midori ängstlich, während sie dem Baby die Brust gab.
    »Es regnet wieder«, sagte Reiko. Dunkle Gewitterwolken zogen über den grauen Himmel. Reiko beobachtete Ota, der von der Veranda sprang und durch den Garten auf einen anderen Mann zuging, der ihm rasch entgegeneilte. Sie sprachen in leisem, dringlichem Tonfall. »Ota redet mit einem seiner Komplizen. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber sie wirken nervös.«
    Der andere Mann rannte davon. Ota warf Reiko einen zornigen Blick zu. Am Morgen hatte sie ihn nach dem Grund des sonderbaren Tumults

Weitere Kostenlose Bücher