Der Palast
wollte er ergründen, welche Absichten Sano verfolgte, während Goza gelangweilt dreinschaute.
»Die Mutter des Shōgun und drei andere Frauen wurden gestern entführt«, fuhr Sano fort und beobachtete die Verbrecher, wobei er sich ihnen näherte. »Was könnt ihr mir darüber sagen?«
»Nichts, Herr«, erwiderte Jun, der ehrlich überrascht zu sein schien. »Ich höre zum ersten Mal davon.« Dann lachte er. »Die Mitglieder der Schwarzen Lotosblüte glauben, dass ihr Hohepriester Anraku von den Toten auferstanden ist. Sie wollen seine Ermordung rächen. Vielleicht hat Anraku die Frauen weggezaubert.«
Offensichtlich teilte Jun die religiösen Überzeugungen der Sekte nicht, machte sich sogar lustig darüber. Doch sein spöttisches Grinsen erregte Sanos Zorn. Am liebsten hätte er Juns Kopf in den weißen Sand des shirasu gepresst und ihm das Grinsen aus dem Gesicht geschmirgelt. Dann bemerkte er, dass Goza mit einem nachdenklichen Ausdruck in seinen Schweinsäuglein vor sich hin starrte, als wäre ihm ein Gedanke gekommen. Sano kniete sich vor ihn hin und packte ihn bei den Schultern.
»Hat die Schwarze Lotosblüte die Frauen entführt?«, fragte er drängend.
Gozas nachdenkliche Miene wich einem Ausdruck der Verschlagenheit, während er bei Sanos Berührung erschauderte. »Schon möglich.«
Sano vermutete, dass der Mann irgendetwas wusste. Er schüttelte Goza. »Sprich!«
»Lasst Ihr uns am Leben, wenn er es Euch sagt?«, meldete Jun sich zu Wort.
Der bloße Gedanke, Mördern Gnade zu gewähren, war Sano zuwider. »Versucht gar nicht erst, einen Handel mit mir zu machen«, sagte er. Zorn und Ungeduld wurden stärker als der Widerwille, seine Macht zu missbrauchen, und er verpasste Goza ein paar schallende Ohrfeigen. »Wo sind die Frauen?«, rief er. Wenn dieser Verbrecher Informationen zurückhielt, die Reiko und die anderen retten konnten, hatte der Mann keine Gnade verdient.
»Es nützt Euch nichts, Goza Schmerzen zuzufügen«, sagte Jun siegessicher. »Er wird nicht reden – es sei denn, Ihr verschont uns.«
Wütend, dass die Verbrecher die Oberhand gewonnen hatten, fuhr Sano zu Jun herum und hätte diesmal ihn geschlagen, doch Magistrat Ueda sagte: »Warte, Sano -san .« Dann wandte er sich an die Verbrecher. »Sagt uns, was ihr wisst, und ich werde darüber nachdenken, ob ich eure Urteile aufheben kann.«
Uedas steinerne Miene ließ Sano erkennen, dass der Magistrat hin und her gerissen war zwischen seiner Pflicht, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, und dem Verlangen, seine Tochter zu retten. Zwar hatte Ueda gegenüber Kleinkriminellen oft Milde walten lassen, doch bei Schwerverbrechern war er bisher unnachgiebig gewesen.
Goza rasselte mit den Ketten. »Zuerst müsst Ihr uns freilassen«, sagte er, »oder aus unserem Handel wird nichts.«
»Rede, oder ich lasse dich und deinen Kumpan zum Richtplatz führen!« Magistrat Ueda bedachte die Halunken mit einem stechenden Blick, der schon viele Widersacher eingeschüchtert hatte, und winkte den Wachen.
Den beiden Verbrechern wurde Angst und Bange. Sie schauten einander an. Schließlich nickte Jun seinem Kumpan zu. Goza sagte: »Ich habe gehört, dass die Schwarze Lotosblüte einen großen Angriff auf die Tokugawa plant. Vielleicht war die Entführung dieser Angriff, und vielleicht hat Höchste Weisheit sie eingefädelt.«
Sano trat einen Schritt zurück und musterte die beiden Männer argwöhnisch. »Wer hat die Entführung begangen? Wo könnten die Entführer die Frauen versteckt halten?«
Goza zuckte die Achseln. »Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß.«
»Nein. Du hast mir nur so viel gesagt, dass du glaubst, du könntest damit deine Haut retten.« Zorn und Verachtung erfüllten Sano. Die Geschichte war plausibel, aber sehr verschwommen und ungenau. So gern Sano auch geglaubt hätte, auf eine Spur zu den Entführern gestoßen zu sein – er traute diesen Halunken nicht. »Ihr lügt«, stieß er hervor.
»Es ist die Wahrheit!«, erwiderte Goza und reckte trotzig das Kinn vor.
»Können wir jetzt gehen?«, fragte Jun den Magistraten.
Sano warf Ueda einen Blick zu, der ihn warnen sollte, auf irgendeine List der Ganoven hereinzufallen. Magistrat Ueda runzelte die Stirn, presste die Lippen zusammen und sagte zu den beiden: »Ich schiebe den Urteilsspruch auf, bis ich herausgefunden habe, ob eure Informationen von Nutzen sind.« Er gab den Wächtern ein Zeichen. »Bringt sie ins Stadtgefängnis. Sorgt dafür, dass sie eine Zelle für sich
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