Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
Vom Netzwerk:
er. »Deshalb werden wir unsere anderen Ermittlungen vorerst ruhen lassen.« Die Nachforschungen über den Tod eines Priesters im Ueno-Tempel und die Ermittlungen über einen Diebstahl aus dem Staatsschatz der Tokugawa konnten warten. »Es besteht die Möglichkeit, dass die Entführung das Werk der Schwarzen Lotosblüte ist. Deshalb müssen wir die gesamte Unterwelt durchforsten und uns alle stadtbekannten Banditen vornehmen, um herauszufinden, was sie über das Verbrechen wissen.«
    »Inoue und Arai«, wandte Sano sich an zwei seiner Ermittler, »Ihr werdet unmittelbar mit mir zusammenarbeiten.« Die beiden Samurai – der kleine, kräftige Inoue und der hoch gewachsene, hagere Arai – verneigten sich; dann teilte Sano seine Leute in Trupps ein. »Fragt in den Tempeln und Heiligtümern«, wies er die Männer an. »Begebt euch in die Spielhöllen, Teehäuser, Bordelle und an andere Orte, von denen wir wissen, dass Gesetzlose sie häufig aufsuchen. Fragt eure Informanten nach geheimen Tempeln. Setzt alle erforderlichen Mittel ein, um Hinweise zu finden, wo die Entführer sich aufhalten und wo sie die Frauen verstecken.«
    Schließlich schickte Sano die Männer los, froh darüber, endlich zur Tat schreiten zu können. Doch die Furcht um Reiko drohte Sanos Fassade der Gelassenheit zum Einsturz zu bringen. Er wies Inoue und Arai an, ihn am Tor zu treffen; dann begab er sich ins Kinderzimmer in den Privatgemächern seiner Villa.
    Die Morgensonne schien durch die Türen, die zum Garten hin geöffnet waren. Masahiro saß an einem Serviertisch und aß Reisbrei, wobei er den Tisch, den Boden und sich selbst bekleckerte. Drei Kindermädchen wischten hinter ihm sauber und redeten kichernd auf den Jungen ein. Als sie Sano in der Tür stehen sahen, verstummten sie und verbeugten sich. Masahiro, dessen Kinn und Wangen mit Brei bekleckert waren, lächelte seinen Vater mit leuchtenden Augen an.
    Die tiefe Liebe zu dem kleinen Jungen ließ Furcht in Sano aufkeimen: Masahiro war die Verkörperung des Glücks, das er mit Reiko teilte und nun zu verlieren drohte. Dennoch brachte er ein fröhliches Lächeln für seinen Sohn zustande, bevor er sich an das älteste Kindermädchen wandte. »Ich muss mit dir reden, O-Sugi.«
    Sie folgte Sano hinaus in den Garten. Dort erzählte er O-Sugi von der Entführung. Sie riss den Mund auf, brachte vor Schreck aber kein Wort hervor. Tränen traten ihr in die Augen. O-Sugi war schon Reikos Kindermädchen gewesen, und der Schock saß tief. Es zerriss Sano beinahe das Herz, als er den Schmerz auf dem Gesicht der alten Frau sah.
    »Bitte sag den anderen Bediensteten, was geschehen ist«, bat Sano. »Aber Masahiro darf nichts erfahren. Gebt also Acht, dass er nicht mithören kann, wenn ihr über diese Sache redet. Ich will nicht, dass er Angst hat.«
    »Ja, Herr«, sagte O-Sugi mit erstickter Stimme.
    Sano ging zurück ins Kinderzimmer, nahm Masahiro auf die Arme und drückte ihn an sich.
    »Ich hab gestern ein Bild gemalt«, sagte Masahiro mit piepsiger Stimme. »Kommt Mama bald nach Hause und guckt es sich an?«
    Als Sano die Stirn an die weiche Wange seines Sohnes drückte, musste er gegen die Tränen ankämpfen. »Ja, Mama kommt bald heim«, sagte er und legte vor den Göttern einen Schwur ab, dass Masahiro seine Mutter nicht verlieren würde, falls sie noch lebte. Dann ließ er den Jungen behutsam herunter. »Ich muss jetzt gehen. Sei artig.«
    »Wo gehst du hin?«, fragte Masahiro.
    »Zu deinem Großvater.«
    Neugierig geworden, legte Masahiro den Kopf schief. »Warum?«
    »Weil er mir bei einer wichtigen Arbeit helfen muss.« Und weil Sano auch dem Magistraten von Reikos Entführung berichten musste – obwohl er sich davor fürchtete, gerade diesem Mann die schlimme Nachricht zu überbringen.
     
    Sano und die beiden Ermittler ritten in den Verwaltungsbezirk Hibyia im Süden des Palasts, wo Reikos Vater als einer der beiden Magistrate der Stadt für die Sicherheit und Ordnung in Edo verantwortlich war. Eine irdene Mauer umschloss das Anwesen mit seinen ziegelgedeckten Fachwerkgebäuden, den Schreibstuben und Wohnhäusern. Diener und Boten, Schreiber und Würdenträger drängten sich auf den engen Gassen und standen in aufgeregt plaudernden Gruppen beisammen. Sano fing Gesprächsfetzen auf und hörte, dass die Neuigkeit von den Entführungen sich in Windeseile verbreitet hatte. In Edo blieb nichts lange geheim.
    Als sie zu Magistrat Uedas Anwesen gelangten, wurden Sano und seine Männer von

Weitere Kostenlose Bücher