Der Palast
beleidigender war als offene Grobheit.
Schließlich sagte Fürst Matsudaira: »Ich habe Euch erwartet. Warum habt Ihr so lange gezögert?«
Yanagisawa gab vor, Matsudairas Andeutung nicht zu verstehen, er habe mit der Entführung zu tun, und nun sei Yanagisawa gekommen, um ihn zu beschuldigen. »Verzeiht, wenn ich Euch jetzt erst aufsuche«, erwiderte der Kammerherr. »Aber wichtige Staatsgeschäfte erforderten meine Anwesenheit im Palast.«
Sein Tonfall deutete an, dass sein Status als Kammerherr seine Anwesenheit bei den wichtigsten Entscheidungen des Regimes erforderlich machte, während Matsudaira trotz seines hohen Adelsranges nur eine Randfigur darstellte. Als Yanagisawa den ersten Punkt in ihrer Schlacht für sich verzeichnete, huschte ein Schatten des Missmuts über Fürst Matsudairas Gesicht. Yanagisawa wusste, dass der Fürst darauf brannte, das Amt des Shōgun an sich zu reißen, zumal er glaubte, dies eher verdient zu haben als Tokugawa Tsunayoshi. Überdies ärgerte er sich über seine Nebenrolle in den Regierungsgeschäften Japans.
»Es waren wohl eher Bettgeschichten, die Euch beschäftigt haben«, spottete Fürst Matsudaira mit einem hämischen Grinsen.
Er machte keinen Hehl daraus, dass er Yanagisawa hasste, der in seinen Augen ein widerlicher Schmeichler und Parasit war, der sich den Weg an die Spitze des bakufu durch Gewalt und Verführung erschlichen und sich widerrechtlich einen großen Teil der Macht des Tokugawa-Klans angeeignet hatte. Er ergriff jede Gelegenheit, Yanagisawas schändliche Taten zu verdammen. Der Kammerherr spürte Wut in sich aufsteigen, aber er hob die Augenbrauen mit vorgetäuschter Gelassenheit.
»Und Ihr? Viele Männer haben wegen Eurer Gerissenheit und Verschlagenheit einen hohen Preis bezahlen müssen«, entgegnete Yanagisawa und erinnerte den Fürsten daran, dass auch dieser nicht vor politischer Sabotage, körperlicher Gewalt und Morden zurückschreckte, um jeden zu bestrafen, der ihm im Wege stand, und um seine Position an der Spitze des Tokugawa-Klans zu erhalten.
»Nur ein unterlegener Hofbeamter herrscht durch Gewalt.« Abscheu verzerrte Fürst Matsudairas Gesicht. »Ein Überlegener herrscht durch ehrliches und gerechtes Handeln in der Tradition des ehrenwerten Konfuzius.«
Yanagisawa wusste, dass Matsudaira stolz auf seinen Ruf war, ein ehrenhafter, rechtschaffener Mann zu sein und Feldzüge gegen die Korruption in der Regierung unternommen zu haben. Dieser selbstgerechte Mistkerl!, fluchte der Kammerherr im Stillen. Nur Matsudairas ererbte Position erlaubte es ihm, Menschen wie Yanagisawa zu verachten, den Sohn eines Gefolgsmannes eines niederen daimyo, der hart um die Anerkennung hatte kämpfen müssen, die Fürst Matsudaira als selbstverständlich betrachtete.
»Macht siegt oft über Tugend«, bemerkte Yanagisawa in beiläufigem, ein wenig feindseligem Ton.
Fürst Matsudaira hatte dem Shōgun gegenüber wiederholt Klagen gegen Yanagisawa vorgebracht. Bisher jedoch waren seine Versuche gescheitert, den Kammerherrn zu verdrängen. Nun kochte es zwar in seinem Innern, doch er reagierte mit einem selbstgefälligen Lächeln auf Yanagisawas Bemerkung und erwiderte mit gespielter Gelassenheit: »Nicht so oft, wie es Euch recht wäre.«
Dem Fürsten gehörte die Treue von zweien der fünf Mitglieder des Ältesten Staatsrats, und durch sie wirkte er Yanagisawas Politik entgegen: Matsudairas Einfluss innerhalb dieses mächtigsten Staatsorgans im bakufu hatte Yanagisawas Wunsch vereitelt, daimyo und Herrscher seiner eigenen Provinz zu werden.
Wut loderte in Yanagisawa auf und verleitete ihn zu einer boshaften Bemerkung. »Übrigens«, sagte er. »Ich muss Euch mein Mitgefühl zum Tod Eures Sohnes aussprechen.«
Fürst Matsudaira funkelte den Kammerherrn zornig an und erwiderte mit bitterer Schärfe: »Es ist eine unverzeihliche Beleidigung, dass Ihr meinen Sohn auch nur erwähnt, während sein Klan noch immer um ihn trauert.«
Matsudairas vor sieben Monaten ermordeter Sohn Mitsuyoshi war der Günstling des Shōgun und sein wahrscheinlicher Erbe gewesen. Würde er noch leben, hätte Fürst Matsudaira noch mehr Einfluss im bakufu gewonnen. Der Mord an Mitsuyoshi hatte Matsudairas Ziel vereitelt, durch seinen Sohn eines Tages selbst über Japan zu herrschen und Yanagisawa ein für alle Mal zu vernichten. Und Yanagisawa wiederum hatte aus Matsudairas schmerzlichem Verlust den größten Nutzen gezogen, denn durch Mitsuyoshis Tod konnte nun sein eigener Sohn auf
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