Der Palast
ihre Söhne auf den Thron zu bringen. Yanagisawa und Hoshina hatten ihre eigenen Pläne, die sie jedoch nicht öffentlich zu verkünden wagten, weil es in Edo von Spionen wimmelte. Selbst Yanagisawas eigenes Anwesen war nicht sicher vor ihnen.
»Der Zeitpunkt wäre schlecht«, bemerkte Yanagisawa, womit er eine Antwort auf Hoshinas unausgesprochenen Hinweis lieferte, dass die Entführung ihren Plänen dienen könne. »Wäre das Verbrechen in einem Jahr oder noch später verübt worden, hätten wir vielleicht einen Grund zum Feiern gehabt. Aber im Augenblick sind wir nicht für einen Machtwechsel bereit.«
»Die Vergünstigungen und Gefälligkeiten, die ich in Eurem Namen gewährt habe, haben Euch eine große Gefolgschaft eingebracht«, sagte Hoshina. »Viele daimyo, die meisten Gefolgsleute der Tokugawa und ein Drittel der Soldaten des Heeres betrachten Euch jetzt schon als ihren Herrn.«
Yanagisawa hatte Hoshina bei seinem Komplott mit dem Ziel, die Loyalität des Heeres, der Vasallen und der Feudalherrn vom Shōgun auf ihn, den Kammerherrn zu übertragen, zu seinem Partner gemacht, und Hoshina erfüllte seine Aufgabe bestens. Dennoch runzelte Yanagisawa nun die Stirn. »Das reicht nicht«, sagte er. Der Erfolg ihrer Pläne erforderte eine noch größere Mehrheit einflussreicher Männer auf ihrer Seite. »Und die entscheidende Basis für unsere eigene Zukunft ist keinesfalls sicher.«
Unten im Palast schritt ein großer, schlanker, junger Samurai in einem prächtigen seidenen Gewand über die Veranda auf den Shōgun zu. Yanagisawa und Hoshina beobachteten den Shōgun, der sich aufrichtete, als er den jungen Mann erblickte, und dessen Gesicht sich aufhellte. Der Samurai kniete ehrerbietig vor dem Shōgun nieder und verneigte sich. Sein hübsches Profil sah dem Yanagisawas zum Verwechseln ähnlich.
»Der Shōgun mag Euren Sohn«, sagte Hoshina.
Yanagisawa betrachtete seinen Sohn Yoritomo, der vor sechzehn Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Er war das außereheliche Produkt seiner Affäre mit einer Hofdame des Palasts. Da sie eine Cousine Tokugawa Tsunayoshis war, war Yoritomo mit dem Shōgun blutsverwandt und daher berechtigt, die Nachfolge des Shōgun anzutreten.
Yoritomo war in einer luxuriösen Villa außerhalb von Edo aufgewachsen, und Yanagisawa hatte für ihn gesorgt, ihm Geschenke gemacht, ihn besucht und sich den Gehorsam des leicht zu beeinflussenden Jungen gesichert. In diesem Jahr hatte Yanagisawa Yoritomo dem Shōgun vorgestellt. Tokugawa Tsunayoshi hatte sich auf Anhieb in den Jungen verliebt. Yanagisawa hoffte, dass der Shōgun Yoritomo adoptierte und ihn zum Erben seines Amtes bestimmte. Doch selbst wenn dies geschah, benötigte Yanagisawa größere politische und militärische Unterstützung, um die Gegenpartei zu vernichten, die seine zahlreichen Feinde zweifellos bilden würden. Und diese Rivalen waren ebenso eifrig wie er, wenn es um ihre Rolle als Vater des nächsten Diktators und die Macht im Lande ging.
»Der Shōgun erfreut sich der Gesellschaft noch vieler weiterer junger Männer«, sagte Yanagisawa, der beobachtete, wie zwei weitere Samurai auf den Shōgun zuschritten. Es waren Söhne anderer Hofbeamter, ebenso jung und hübsch wie Yoritomo. »Er ist noch nicht bereit, sich für einen Günstling zu entscheiden.«
»Aber es geht das Gerücht, Yoritomo hätte einen Vorteil, weil er weiß, wie er den Shōgun erfreuen kann«, sagte Hoshina.
Der Shōgun wies die beiden Neuankömmlinge zurück und reichte Yoritomo die Hand. Der junge Mann half ihm aufzustehen; ehe sie dann gemeinsam den Palast betraten, warf Yoritomo einen Blick über die Schulter zum Wachturm. Auf seinem ängstlichen Gesicht spiegelte sich Widerstand, zu tun, was der Shōgun nun zweifellos von ihm erwartete, und das Bedürfnis nach Billigung durch seinen Vater. Dann verschwand er mit dem Shōgun im Palast. Als Kammerherr Yanagisawa sich die bevorstehenden Szenen im Schlafgemach ausmalte, überkamen ihn Schuldgefühle. Aber hatte er eine andere Wahl, als dem Shōgun seinen eigenen Sohn als Liebhaber anzubieten? Sollte das jetzige Regime ein Ende nehmen, würden seine Feinde ihn und Yoritomo vernichten, wenn er sich und seinem Sohn keinen Platz an der Spitze der Anwärter auf die Thronfolge sicherte und sich auf einen Krieg vorbereitete, falls notwendig, damit sie an der Spitze blieben.
»Nichts ist sicher, solange der offizielle Erbe nicht in der Residenz des Kronprinzen lebt«, sagte Yanagisawa.
Was das betraf,
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