Der Palast
die Nachfolge des Shōgun hoffen.
»Darf ich Euch daran erinnern, dass der Shōgun für böse Einflüsse empfänglich ist, jedoch auch auf den Druck seines Klans reagiert«, sagte Fürst Matsudaira. »Er wird unsere legitimen Verwandten nicht zugunsten eines Bastards enterben, in dessen Adern bloß ein Tropfen Tokugawa-Blut fließt. Ihr solltet besser auf Euch Acht geben, denn Eure Zukunft ist nicht sicherer als meine.«
Jetzt stand es unentschieden, wie Yanagisawa widerwillig eingestehen musste. Der Kammerherr genoss den Schutz des Shōgun und die Treue vieler Verbündeter – eine solide Basis für die Nachfolge; und er kontrollierte ein Drittel des Heeres. Fürst Matsudaira jedoch kontrollierte ebenso viele Soldaten und hatte ebenso einflussreiche Verbündete auf seiner Seite. Beide Seiten waren zu mächtig, um die gegnerische Partei offen anzugreifen. Doch die Entführung der Frauen und deren Folgen könnten über den Sieger entscheiden.
»Mit der Entführung von Keisho-in hat jemand einen ebenso verbrecherischen wie kühnen Schritt gewagt«, stellte Yanagisawa fest.
Fürst Matsudaira musterte ihn herablassend – eine stumme Bekundung, damit gerechnet zu haben, dass Yanagisawa den Grund seines Besuchs nun auf diese Weise zur Sprache brachte. »Was meint Ihr, welches Motiv dahinter stecken könnte?«, fragte er und wich Yanagisawas unausgesprochener Beschuldigung dadurch aus.
»Der Shōgun wird alles tun, um seine Mutter zurückzubekommen«, sagte Yanagisawa. »Er würde sogar seine höchsten Beamten opfern.«
Sano glaubte, es könnte sich um einen Racheakt der Schwarzen Lotosblüte handeln, während Makino, der Vorsitzende des Ältesten Staatsrats, die Ansicht vertrat, die Entführer wollten Geld. Yanagisawa jedoch betrachtete die Entführung als einen Versuch, die Machthierarchie im Land zu verändern.
»Ihr glaubt, die Entführer werden einen Erpressungsbrief schicken und dem Shōgun befehlen, Euch aus dem bakufu auszuschließen?«, sagte Fürst Matsudaira, grinste den Kammerherrn an und ließ diesen erkennen, wie sehr ihm dieses Motiv gefallen würde. »Das ist eine interessante Theorie. Doch bevor Ihr sie an die Öffentlichkeit bringt, denkt daran, wie dumm Ihr dasteht, wenn Ihr einen Mann beschuldigt, der sich in Gesellschaft vieler Menschen zu Hause in Edo aufhielt, als Keisho-in entführt wurde.«
Yanagisawa nahm Fürst Matsudairas Hinweise auf sein Alibi mit einem verächtlichen Blick zur Kenntnis. »Falls ich jemanden beschuldige, muss derjenige nicht das Risiko eingegangen sein, persönlich am Tatort zu erscheinen«, sagte er, verstummte kurz und fuhr in zweideutigem Ton fort: »Ich habe Euch gesehen, als Ihr an jenem Tag Truppen auf dem Übungsplatz trainiert habt. Ihr habt mehr als genug Speichellecker, die alles tun und sagen, was Ihr verlangt.«
»Das kann ich von Euch ebenso behaupten.« Fürst Matsudairas Stimme war bedrohlich leise. »Wo waren denn Eure Truppen während der Entführung? Was würdet Ihr tun, um mich zu vernichten?«
Die Atmosphäre knisterte vor feindseliger Spannung, als würde sich ein Gewitter ankündigen. Yanagisawa konnte fast das Schießpulver in der Luft riechen, als er und Fürst Matsudaira auf dem schmalen Grat zwischen einem verbalen Schlagabtausch und einem offenen Kampf wandelten. Ihre Gefolgsleute warteten regungslos und dennoch wachsam auf ein Zeichen zum Angriff.
Mit einem knappen, spöttischen Lächeln sagte Fürst Matsudaira schließlich: »Aber natürlich würde ich Euch nicht des Mordes und Verrats beschuldigen.«
Augenblicklich erwiderte Yanagisawa: »Das würde ich auch von Euch niemals behaupten.«
Keiner der beiden hatte Beweise, um den anderen zu beschuldigen. Keiner wagte es, die Entführung als Gelegenheit für einen Krieg zu benutzen – bis jetzt. So verneigten sie sich zum Abschied und beschlossen, eine Auseinandersetzung zu vermeiden, die Japan in einen Bürgerkrieg stürzen könnte. Dann erhoben sich der Kammerherr und dessen Männer und verließen den Raum. Yanagisawas Miene war ruhig, doch sein Herz pochte heftig, und sein Körper war nach dem kurzen Besuch schweißüberströmt. Als sie durchs Tor traten und über den Weg schritten, überdachte er seine Theorie im Licht dessen, was soeben geschehen war.
Obwohl Fürst Matsudaira ein Alibi besaß und die Tat weit von sich gewiesen hatte, könnte er schuldig sein. Die Tatsache allerdings, dass die Entführung selbst für einen so ehrgeizigen Mann wie Matsudaira ein drastischer Schritt
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