Der Palast
fast so, als wäre sein Herz eine Glocke und Hoshina der Klöppel, der dem alten, unbelebten Metall Töne entlockte. Hoshinas Anblick erweckte heftiges Verlangen, das Yanagisawa jedoch unterdrückte. Bedürfnisse machten ihn verwundbar, und das konnte für einen Mann in seiner Position fatale Folgen haben. Er verspürte einen Anflug von Groll gegenüber Hoshina – der Schwachstelle seiner Rüstung.
Hoshinas Augen nahmen einen Ausdruck an, der seine Bemühungen verriet, die Gedanken seines Geliebten zu erraten, wie auch seine Angst erkennen ließ, Yanagisawa zu missfallen. »Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte Hoshina vorsichtig.
»Dein Verhalten bei dem Treffen gestern Abend war tadelnswert.« Yanagisawa verbarg seine Gefühle hinter Kritik, die er oft einsetzte, um Hoshina auf Distanz zu halten. »Du hast so getan, als wäre die Entführung das Beste, was je geschehen ist. Zum Glück hat der Shōgun es nicht bemerkt – aber allen anderen ist es nicht entgangen. Dein Verhalten bringt uns beide in Gefahr.«
»Verzeiht mir«, bat Hoshina, den Yanagisawas kühler Verweis ernüchterte. »Beim nächsten Mal werde ich besser Acht geben.«
Doch geteilte Erinnerungen an die gemeinsamen Nächte, in denen sie tranken und scherzten, wenn sie sich nicht gerade liebten, milderten bald schon die Spannung zwischen ihnen. Yanagisawa wurde versöhnlicher; wenngleich er dies nur durch ein Kopfnicken anzeigte, lächelte Hoshina erleichtert.
»Ich gebe zu, dass ich das Verbrechen als eine gute Gelegenheit betrachte«, gestand Hoshina. Seine sonst so nüchterne Stimme vibrierte vor Erregung. »Wenn wir Fürstin Keisho-in retten und die Entführer fassen, werden wir in der Gunst des Shōgun aufsteigen, während Sano und die anderen in seiner Gunst sinken. Eure Macht wird größer sein denn je.«
So wie deine, dachte Yanagisawa. Der Ehrgeiz Hoshinas war so brennend, dass er die Fallgruben auf dem Weg vor sich nicht sah. Doch die Liebe verzieh schlimmere Fehler als Habgier, ungezügelte Leidenschaft oder mangelnden Weitblick.
»Wenn wir versagen und Sano siegt, werde ich mein Gesicht und meinen guten Ruf im bakufu verlieren«, erinnerte Yanagisawa seinen Geliebten. »Weder mein Geschick, den Shōgun zu beeinflussen, noch meine Zeit als sein Geliebter werden mir helfen, dass er seine gute Meinung von mir bewahrt. Dieses Verbrechen könnte eine Katastrophe für mich heraufbeschwören – und für dich.«
»Ich werde nicht versagen«, beteuerte Hoshina.
Seine Selbstsicherheit verlieh Yanagisawa neuen Mut. Ehe Hoshina in sein Leben getreten war, hatte er Höllenqualen der Einsamkeit gelitten. Jemanden zu haben, dem er vertrauen konnte, milderte diesen Schmerz.
Doch Hoshinas Vertrauen wich schon bald ersten Zweifeln. »Macht Ihr Euch Sorgen, weil Ihr glaubt, Sano sei ein besserer Ermittler als ich, oder seine Polizeitruppe sei besser als die Polizisten, die ich für Euch ausgebildet habe?«, fragte er.
»Natürlich nicht«, erwiderte Yanagisawa, obwohl er Sanos fachliche Fähigkeiten höher einstufte als die Hoshinas. Er war nicht blind gegenüber den Tatsachen. Dennoch gingen ihm Lügen leicht über die Lippen. Und er würde immer wieder lügen, wenn es privaten Beziehungen oder politischer Notwendigkeit diente. »Du hast meine Erwartungen voll und ganz erfüllt.«
Hoshina senkte bescheiden den Kopf und genoss dieses Lob.
»Ich mache mir allerdings Sorgen, weil wir in dem Entführer unseren Meister gefunden haben«, gestand Yanagisawa. Der Kammerherr, selbst rücksichtslos, grausam und gerissen, erkannte diese Eigenschaften auch bei seinem Widersacher.
Hoshina nickte und dachte kurz nach. »Und wenn wir alle versagen? Wenn Keisho-in und die anderen Frauen nie mehr zurückkehren?«
Sie schauten über den Garten hinweg zum Palast. Der Shōgun lag stöhnend auf der Veranda, während die Ärzte seine Brust mit Kräuterumschlägen umwickelten.
»Wenn er seine Mutter verliert«, sagte Yanagisawa, »könnte der Kummer seine Gesundheit ruinieren.«
»Falls er stirbt, würde seine Regentschaft enden, ohne dass er einen direkten Erben und Nachfolger hat«, entgegnete Hoshina. Der Shōgun hatte eine Gemahlin und hundert Konkubinen, aber er bevorzugte Sex mit Männern, und er hatte keine Kinder. »Wer wird dann der nächste Shōgun?«
Schon lange vor der Entführung hatten die zahlreichen Anwärter auf das Amt des Shōgun Pläne für die Zeit nach dessen Tod geschmiedet. Verwandte des Tokugawa-Klans bemühten sich, sich selbst oder
Weitere Kostenlose Bücher