Der Palast
Ruhe.«
Hoshina konnte seine Ungeduld kaum zügeln. Wenn er die Entführer nicht fand und Fürstin Keisho-in nicht rettete, würde er sich im bakufu niemals einen Namen machen. Dann würden er und Yanagisawa in der Gunst des Shōgun so tief sinken, dass ihre Zukunftspläne vermutlich scheiterten. Und ein Scheitern barg für Hoshina – ebenso wie ein Erfolg – verschiedene ernsthafte Konsequenzen. Yanagisawa verachtete unfähige Menschen, doch bisher war es Hoshina gelungen, sämtliche Aufträge des Kammerherrn erfolgreich abzuschließen. Was aber würde geschehen, wenn der Entführungsfall sich als so schwierig erwies, dass er ihn nicht lösen konnte? Würde Yanagisawa ihn dann nicht mehr begehren? Würde er ihn fallen lassen?
Obwohl Hoshina seine Liebe zu einem so begehrenswerten, aber schwierigen und gefährlichen Mann wie dem Kammerherrn bedauerte, stieg bei dem Gedanken, Yanagisawa zu verlieren, Entsetzen in ihm auf.
»Möglicherweise ist Suiren die einzige Person, die mir Informationen über die Männer liefern kann, die die Mutter des Shōgun entführt haben«, beharrte Hoshina. »Es ist dringend notwendig, dass ich mit ihr spreche.«
»Sie darf nicht noch mehr Lebensenergie verlieren, die ohnehin schon stark geschwächt ist«, erwiderte Dr. Kitano. »Zudem erspart ihr die Bewusstlosigkeit furchtbare Schmerzen. Bitte gebt ihr Zeit, bis sie wieder bei Kräften ist.«
»Ich habe keine Zeit!«, stieß Hoshina hervor, den die ruhige Art des Arztes wütend machte. »Wenn Suiren stirbt, ohne mir gesagt zu haben, was sie weiß, werden wir Fürstin Keisho-in vielleicht nicht wiedersehen und die Verbrecher niemals fassen.« Und er, Hoshina, würde seine Ziele niemals erreichen. Er stand auf, reckte die Schultern und starrte auf Dr. Kitano hinunter, um die Überlegenheit seines Ranges zu verdeutlichen. »Ich befehle Euch, sie auf der Stelle zu wecken!«
Dr. Kitano rang um Fassung und musterte Hoshina kühl. »Der Ehrenkodex meines Berufes verbietet es mir, das Leben meiner Patienten zu gefährden.«
Hoshina vermutete, dass es dem Arzt weniger um seine Berufsehre, sondern vielmehr um die Angst ging, für den Tod der einzigen Tatzeugin verantwortlich zu sein und eine Bestrafung durch den Shōgun zu riskieren.
»Ich übernehme die Verantwortung für alles, was der Frau zustoßen könnte«, sagte Hoshina deshalb. Ihm war es lieber, Suiren starb während der Befragung, als das Verhör noch länger hinauszuschieben.
Dr. Kitano nickte zögernd und befahl seinen Gehilfen: »Ich brauche Moschus.«
Einer der Helfer brachte dem Arzt eine Keramikschale, in dem sich ein grobkörniges Pulver befand. Der scharfe Tiergeruch des Moschus breitete sich aus. Hoshina beobachtete Dr. Kitano, der Suiren die Schale unter die Nase hielt. Als die Leibdienerin den Geruch einatmete, bebten ihre Nasenflügel, und sie verzog unwillkürlich das Gesicht. Dann öffnete sie zögernd die Augenlider. Hoshina nickte Dr. Kitano anerkennend zu.
»Ihr dürft sie nicht aufregen«, warnte der Arzt ihn.
Hoshina kniete sich neben den Futon und beugte sich über die Leibdienerin. »Suiren -san «, sagte er. Ihr verschwommener Blick wanderte über sein Gesicht. Angst belebte ihre ruhigen Gesichtszüge.
»Ihr braucht Euch nicht zu fürchten. Ihr seid zu Hause im Palast in Sicherheit«, sagte Hoshina freundlich und versuchte, seine Erregung zu unterdrücken. »Ich bin der Polizeikommandeur von Edo.«
Suiren atmete erleichtert aus, und ihr Gesicht entspannte sich. Ihre Augenlider fielen zu. Der Schlaf übermannte sie erneut.
»Gebt Ihr noch eine Prise von dem Moschus«, befahl Hoshina Dr. Kitano.
Der Doktor kam dem Befehl widerwillig nach. »Diese Medizin ist sehr stark, und mehrere Gaben sind für Personen mit schwacher Gesundheit gefährlich.«
Während Suiren den Moschusgeruch einatmete, blinzelte sie zuerst und riss die Augen dann weit auf. Sie sah verwirrt und beunruhigt aus, als hätte sie vergessen oder nicht richtig verstanden, wer Hoshina war und was er ihr gesagt hatte.
»Erinnert Ihr Euch, dass Ihr mit Fürstin Keisho-in über die Tōkaidō gereist seid?«, fragte Hoshina. »Erinnert Ihr Euch an den Überfall?«
Grenzenlose Verwirrung verschleierte Suirens Augen; Sekunden später spiegelte sich blankes Entsetzen in ihrem Blick, und sie ließ ein jämmerliches Stöhnen hören.
»Habt Ihr gesehen, wer Fürstin Keisho-in entführt hat?«, fragte Hoshina mit wachsender Ungeduld.
Das Stöhnen wurde lauter; die Leibdienerin warf den
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