Der Palast
Schlange bedroht, die am Wegesrand auf ihn lauerte. Und jetzt bohrte die Schlange ihre Giftzähne in seinen Körper. Zwar hatte Sano damit gerechnet, dass Hoshina in einer schwierigen, für ihn bedrohlichen Situation diese Gefälligkeit einfordern würde, doch nun erwies der Zeitpunkt sich als schlimmer, als Sano sich je hätte vorstellen können.
»Wie soll ich Euer Leben retten?« In einer Geste der Hilflosigkeit hob Sano beide Hände. »Soll ich dem Shōgun raten, dass er Euch verschont, und stattdessen seine Mutter sterben lassen?« Sano schüttelte den Kopf. »Ihr verlangt ein Wunder von mir!«
»Das ist Euer Problem«, erwiderte Hoshina. »Und Ihr müsst es lösen. Wir haben eine Abmachung getroffen! Nun haltet Euer Wort als Samurai.«
Sano spähte zu Yanagisawa hinüber, der ihn mit festem, durchdringendem Blick musterte, was seinen Verdacht bestätigte: Yanagisawa hatte von der Abmachung gewusst. Und weil er gewusst hatte, dass Hoshina Hilfe brauchte und nun die Einlösung des Versprechens fordern würde, hatte er Sano zu sich bestellt. Yanagisawa wollte Sano unter Druck setzen, damit er seinen Geliebten für ihn rettete!
Sano blickte Yanagisawa bitter und verärgert an, ehe er sich wieder Hoshina zuwandte.
»Diesmal breche ich gern mein Wort«, stieß Sano hervor und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nachdem Ihr alles getan habt, um mich zu vernichten, verdient Ihr meinen Schutz nicht.«
»Ich verdiene eine ebenso gute Tat, wie ich sie Euch erwiesen habe!« Auf Hoshinas verschwitztem Gesicht zeigte sich wilde Entschlossenheit. »Hätte ich Euch damals den Hinweis nicht gegeben, wärt Ihr längst tot. Ihr verdankt mir Euer Leben. Und Ihr werdet mich belohnen, indem Ihr nun mein Leben rettet.«
»Niemals!« Sano schüttelte entschieden den Kopf, obwohl er Hoshinas Logik nicht abstreiten konnte. In dem damaligen Mordfall hatte Sano zu den Verdächtigen gehört. Vielleicht hätte er auch ohne den Hinweis seinen Namen reingewaschen und den richtigen Mörder verhaftet – vielleicht aber auch nicht. Wäre er damals gescheitert, hätte es die Todesstrafe nach sich gezogen. Er würde niemals mit Sicherheit sagen können, ob er es aus eigener Kraft geschafft hätte, sein Leben zu retten, oder ob Hoshina seinen Untergang verhindert hatte.
»Ich werde die Frauen nicht für eine Kreatur wie Euch opfern!«, rief Sano, wütend auf Hoshina, Yanagisawa und sich selbst, weil er in diese missliche Lage geraten war. »Und ich werde auch nicht zulassen, dass Ihr Euch in meine Aufgabe einmischt, Fürstin Keisho-in zu retten.« Er hob den Erpressungsbrief vom Boden auf, wohin Hoshina ihn geworfen hatte. »Ich werde den Brief jetzt zum Shōgun bringen und ihm raten, die Forderungen zu erfüllen. Ich werde Euch den Henkern persönlich ausliefern!«
In der Hitze seiner Wut sperrte Sano sich gegen den Gedanken, dass Hoshina einen berechtigten Anspruch auf die Einlösung seines Versprechens hatte. Sano ging es in erster Linie darum, Reiko zu retten. Er streckte die Arme aus, um Hoshina zu packen, doch der Polizeikommandeur stieß ihn zur Seite.
»Seht Euch den sōsakan-sama an«, zischte Hoshina hasserfüllt. Obwohl sich in seinen Augen die Angst spiegelte, seinen letzten Trumpf verspielt zu haben, entblößte ein spöttisches Grinsen seine Zähne. »Er behauptet, für Recht und Ehre einzutreten, und doch will er mich zu einem unehrenhaften Tod verurteilen, ohne zu wissen, warum die Entführer mich des Mordes anklagen oder ob ich überhaupt schuldig bin. Und warum? Weil er seine Pflicht erfüllen will, indem er die Mutter seines Herrn rettet?«
Hoshina stellte diese Frage einem imaginären Publikum. Seinem Liebhaber Yanagisawa schenkte er keinerlei Beachtung mehr. Dieser beobachtete die Szene als stummer Zeuge. »Nein, der ehrenwerte sōsakan-sama will nur seine Frau retten.« Hoshina grinste Sano trotz seiner Angst und Verzweiflung verächtlich an. »Aber andere Männer verachtet Ihr, weil sie eigennützige Interessen verfolgen! Ihr seid ein Heuchler!«
»Haltet den Mund!«, rief Sano aufgebracht, denn Hoshina fasste genau die Kritik in Worte, die sein Gewissen ihm zuflüsterte.
»Ihr behauptet denn stets, die Wahrheit zu kennen? Aber die Wahrheit ist manchmal schmerzlich, nicht wahr?«, spottete Hoshina.
»Ich werde Euch persönlich hinrichten!« Sano griff nach seinem Schwert, das Yanagisawas Wachen konfisziert hatten.
»Das würdet Ihr nicht tun, selbst wenn Ihr es könntet«, sagte Hoshina voller Trotz, weil
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