Der Palast
Augen sah. »Die Dinge müssen ihren Lauf nehmen.«
»Was sagt Ihr da? Bei den Göttern!«
Hoshina wich zurück, als hätte der Kammerherr ihm eine Ohrfeige verpasst. Auch Sano konnte sein Erstaunen nicht verhehlen: Er hatte fest damit gerechnet, dass Yanagisawa seinen Geliebten schützen würde.
»Ihr wollt mich opfern, um Fürstin Keisho-in zu retten!« Hoshina schüttelte ungläubig den Kopf und stieß ein hysterisches Lachen aus. »Aber … aber das ist nicht nötig! Es gibt andere Möglichkeiten! Ihr könnt den Shōgun überzeugen, mich zu verschonen. Wir werden eine andere Lösung finden, um Fürstin Keisho-in zu retten!«
Sein flehender Blick haftete auf Yanagisawa, doch der Kammerherr erwiderte leise: »Ich kann deine Bitte unmöglich erfüllen.«
Sanos Blick wanderte über Hoshinas Gesicht, das sich vor Wut verdunkelte. »Ihr wollt nicht für mich eintreten, weil Ihr das Risiko scheut, das Missfallen des Shōgun zu erregen«, stieß Hoshina hervor.
Still und nachdenklich neigte Yanagisawa den Kopf.
»Ihr würdet mich eher sterben lassen, als Euer Amt zu verlieren und die Gelegenheit aufzugeben, durch Euren Sohn über Japan zu herrschen, falls er zum nächsten Diktator ernannt wird«, fuhr Hoshina fort. »Nach allem, was wir gemeinsam vollbracht haben und was wir einander bedeuten?«
Schäumend vor Wut, stapfte Hoshina im Kreis um Yanagisawa herum. »Ich habe Euch geholfen, Eure Macht aufzubauen!«, stieß er wild hervor. »Ich habe Eure Feinde bekämpft! Ich habe Euch meinen Körper und mein Herz geschenkt!« Er schlug sich auf die Brust. »Und jetzt, da ich Eure Hilfe brauche, lasst Ihr mich im Stich!«
Sano war verlegen, da er Zeuge dieses privaten Streits wurde. Er fragte sich, weshalb Yanagisawa seinen Geliebten gerade jetzt herbestellt hatte. Er musste doch gewusst haben, was geschehen würde!
Plötzlich warf Hoshina sich vor Yanagisawa auf die Knie. »Bitte, lasst mich nicht im Stich«, jammerte er schluchzend. Seine Hände kratzten über das Gewand des Kammerherrn. »Ich liebe Euch. Ich möchte nicht sterben. Bitte, ich flehe Euch an … wenn auch Ihr mich liebt, dann lasst nicht zu, dass der Shōgun mich hinrichten lässt!«
Sano dachte an das Treffen, auf dem er von der Entführung erfahren hatte, und erinnerte sich, wie freudig Hoshina dieses Verbrechen als Möglichkeit begrüßt hatte, seine Position zu festigen. Und nun das hier. Welch ein Kontrast zwischen dem ehrgeizigen, großspurigen Hoshina und dieser kriecherischen Kreatur!
Yanagisawa stand sprachlos da und rührte sich nicht. Sano spürte den inneren Schmerz des Kammerherrn. Er liebte Hoshina, doch seine Liebe zur Macht war größer.
Schließlich trat Yanagisawa von Hoshina zurück.
»Es hat keinen Zweck, zu betteln und zu bitten«, sagte er traurig, aber entschlossen. »Ich darf einer Rettung der Mutter des Shōgun nicht im Wege stehen. Meine Feinde würden die Gelegenheit ergreifen, mich zu vernichten – und gemeinsam sind sie stärker als ich.« Sano wusste, dass Yanagisawa sich mit dieser Bemerkung auf Fürst Matsudaira und Priester Ryuko bezog. »Wenn ich dich beschützen würde, würde es uns beiden den Tod bringen.«
Hoshina sprang auf. Ein Ausdruck des Entsetzens legte sich auf sein tränennasses Gesicht. Er eilte zur Tür des Pavillons, doch der Anblick der Wachposten draußen ließ ihn erstarren. Hoshina begriff, dass eine Flucht zwecklos war. Niemals käme er lebend aus dem Palast.
Schweiß schimmerte auf Hoshinas Haut, und er verströmte den bitteren Geruch der Todesangst. Er atmete schwer und kauerte Schutz suchend nieder. Sein verstörter Blick irrte umher. Als sein Blick auf Sano haften blieb, erhellte sich seine Miene. Offenbar hatte er eine rettende Idee.
Plötzlich wusste Sano, was Hoshina sagen würde und warum Yanagisawa ihn, Sano, hierher bestellt hatte. Die Erkenntnis versetzte ihm einen Schock.
»Erinnert Ihr Euch an unsere Ermittlungen im letzten Winter, als wir den Mörder Fürst Mitsuyoshis gesucht haben?«, fragte Hoshina. »Ich habe Euch damals einen Hinweis geliefert, und Ihr habt mir als Gegenleistung eine Gefälligkeit versprochen. Ihr habt mir versprochen, mir jeden Gefallen zu erweisen! Jetzt bitte ich Euch, dieses Versprechen einzulösen.« Hoshina reckte sich, hob das Kinn und blickte Sano mit der Verzweiflung eines Mannes an, der sich an den letzten Strohhalm klammerte. »Rettet mein Leben!«
Das Versprechen, das er Hoshina gegeben hatte, hatte Sano seit langem wie eine giftige
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