Der Palast
halten, indem er einschritt und Hoshina vor dem sicheren Tod bewahrte. Sein Ehrgefühl war letztlich stärker als seine eigennützigen Motive.
»Herr, wartet bitte«, bat Sano den Shōgun in einem Tonfall, der seine widerstreitenden Gefühle offenbarte.
Die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wandte sich Sano zu. Der Shōgun musterte ihn erstaunt. »Worauf soll ich warten?«, fragte Tokugawa Tsunayoshi. »Je eher ich … äh, Polizeikommandeur Hoshina hinrichte, desto eher werden die Entführer meine geliebte Mutter aus der Gefangenschaft freilassen.«
»Nicht unbedingt, Herr«, widersprach Sano.
Die Wachen ergriffen Hoshina und rissen ihn hoch. Er spannte die Muskeln an und leistete Widerstand. Auf seinem Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. Der Shōgun stemmte die Fäuste in die Hüften und beugte sich vom Podest zu Sano hinunter.
»Wie könnt Ihr es wagen, Euch einzumischen?«, sagte Tokugawa Tsunayoshi. »Seid Ihr mir … äh, untreu, um Hoshina -san auf Kosten meiner Mutter zu beschützen?« Der Zorn trieb ihm die Röte in die Wangen. »Vielleicht möchtet Ihr ihm … äh, auf den Richtplatz folgen.«
Obwohl die Angst Sano zu ersticken drohte, musste er seine gefährliche Argumentation fortsetzen, um Reiko und Hoshina zu retten. »Mein einziger Wunsch ist, Herr, Euch zu dienen«, behauptete er. »Und ich muss Euch höflich darauf hinweisen, dass Hoshinas Tod nicht das Leben der ehrenwerten Fürstin Keisho-in rettet.«
Der Shōgun neigte den Kopf zur Seite und musterte Sano misstrauisch, doch aufgrund seines mangelnden Vertrauens in seine eigenen Entscheidungen zögerte er. Schließlich hob er eine Hand und bedeutete den Wachen zu warten. »Was redet Ihr da?«
Hoshinas Hoffnung lastete schwer auf den Schultern des sōsakan-sama. »Es liegt nicht im Interesse der Entführer, Fürstin Keisho-in freizulassen«, sagte Sano. »Wahrscheinlich hat sie ihre Gesichter gesehen und könnte sie wiedererkennen. Die Entführer wissen, dass Eure ehrenwerte Mutter Euch helfen wird, sie zu jagen, wenn die Entführer sie lebend laufen lassen. Sobald sie erfahren, dass Hoshina tot ist, werden sie Eure Mutter und die anderen Geiseln töten.«
Der Shōgun riss den Mund auf. »Aber hier steht, dass die Entführer … äh, meine Mutter freilassen, wenn ich Hoshina -san hinrichte«, widersprach Tokugawa Tsunayoshi und hielt den Brief in die Höhe.
»Das Versprechen eines Verbrechers ist nichts wert«, entgegnete Sano. »Ein Mensch, der so verderbt ist, die ehrenwerte Fürstin Keisho-in zu entführen und ihre Gefolgsleute zu ermorden, hat auch keine Skrupel, sein Wort Euch gegenüber zu brechen, sobald Ihr ihm gegeben habt, was er verlangt.«
Tokugawa Tsunayoshi schlug empört mit den Fäusten auf das Podium. Wie konnte jemand wagen, ihn so zu behandeln! »Schändlich!«, rief er mit erstarrter Miene. »Aber die Entführer … äh, werden meine Mutter töten, wenn ich Hoshina -san nicht hinrichte«, fügte er dann mit kläglicher Stimme hinzu.
Es war tatsächlich möglich, dass die Entführer alle Frauen töteten, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt wurden. Das wusste Sano. Wie die Entscheidung auch ausfiel – sie konnten am Ende als Verlierer dastehen.
Jetzt erwachte das Misstrauen des Shōgun. »Ihr versucht, mich zu verwirren«, sagte er zu Sano, ehe er sich an den Kammerherrn Yanagisawa wandte. »So langsam glaube ich, dies ist ein … äh, Komplott, damit ich Hoshina -san verschone und meine geliebte Mutter einem schrecklichen Schicksal überlasse.«
Yanagisawa erstarrte jäh, als ihm die Angst durch die Glieder fuhr, die auch Sano verspürte. Im Audienzsaal herrschte mit einem Mal eine düstere, bedrohliche Atmosphäre. Draußen vor den geöffneten Türen wanderte die Sonne über die Gebäude im Garten, doch die tiefen Dachvorsprünge des Palasts hüllten den Audienzsaal in Dunkelheit.
»Ich bin in kein Komplott verstrickt, Herr«, verteidigte Kammerherr Yanagisawa sich mit krächzender Stimme. »Ich habe keinen Finger gerührt, um Hoshina -sans Hinrichtung zu verhindern.«
»Aber Ihr habt dort gesessen und zugelassen, dass … äh, Sano -san mir widerspricht.« Der Shōgun sprang so ungeschickt auf, dass er beinahe vom Podest auf Yanagisawa gestürzt wäre, der verwirrt zurückwich. »Glaubt Ihr, ich wüsste nicht, dass Hoshina Euer Liebhaber ist? Für wie dumm haltet Ihr mich? Glaubt Ihr, ich wüsste nicht, dass Ihr ihn retten wollt?« Mürrisch blickte er auf Yanagisawa hinunter. »Ihr, den ich geliebt und dem
Weitere Kostenlose Bücher